Al Jazeera hat es nicht leicht. Seitdem der islamistische Terrorismus zur medial erscheinend größten Gefahr für die Menschheit mutiert ist, wartet der arabische TV-Sender in regelmäßigen Abständen mit exklusivem Bild- und Tonmaterial aus der Dschihad-Szene auf. Nicht selten handelt es sich dabei um Video- oder Audiobänder des Terrorpaten, Osama Bin Laden, persönlich.
Kurz nach 9/11 begann eine Flut von Bin Laden-Videos über Al Jazeera zu laufen. Fans wie Gegner schienen an den Lippen jenes charismatischen Saudis zu hängen, der aus seinem Höhlenversteck in Tora Bora beschwor, dieser Krieg werde bis zum Sieg des Islam über die ganze Welt geführt.
Für Al Jazeera äußerte sich der vermeintlich "gute Draht" zu al Qaida einerseits erfreulich. Die Quote stieg an, der Name des Senders wurde im Westen bekannt und ist seitdem Synonym für die muslimische bzw. arabische Stimme im Mediendschungel.
Auf der anderen Seite verhöhnten vor allem die USA Al Jazeera als Propagandasender. Die immer wieder ausgestrahlten Bilder leidender Muslime in Gaza, Afghanistan, Irak und anderswo ließen den Eindruck erwecken es handle sich lediglich um eine arabische Fox-News-Kopie. Die exklusiven Bin Laden Botschaften verstärkten dieses Negativ-Image zusätzlich.
Nun sind fast zehn Jahre ins Land gegangen, der al Qaida Führer sitzt weder hinter amerikanischen Gardinen noch ist sein Leichnam durch die B-52 Bomber oder durch CIA gesteuerte Predatordrohnen pulverisiert worden. Bin Laden lebt und hat er neuerdings wieder Mitteilungsbedarf. Als Sprachrohr wählte er diesmal nicht - wie in den Jahren zuvor - die einschlägigen Internetforen, sondern er wagte den Schritt zu Al Jazeera.
Nachdem er sich im September 2009, kurz vor der Bundestagswahl mit deutschem Untertitel aus dem Internet zu Wort gemeldet hatte, war es still geworden. Der 9/11 Jahrestag 2009 verstrich ohne dass Bin Laden in einem neuen Video zu sehen war. Lediglich eine verschwommene Gestalt in einem unscharfen al-Qaida Propagandafilm aus Waziristan ließ die Gerüchteküche wieder kurzzeitig brodeln. War dort Bin Laden zu sehen oder doch nur ein weißbärtiger, pakistanischer Dschihad-Veteran?
Am vergangenen Wochenende brach Bin Laden das Schweigen. Al Jazeera erhielt ein neues Tonband, nur knapp unter zwei Minuten lang, und strahlte es in nahezu voller Länge aus. Direkt und klar wie selten warnte er darin die USA vor neuem Terror, lobte den Möchtegern-Märtyrer von Detroit und forderte Präsident Obama auf den Nahostkonflikt zu lösen um endlich Sicherheit für die westliche Welt zu gewinnen.
Doch dabei beließ es Bin Laden. Er legte nach und so präsentierte Al Jazeera heute ein zweites Audiotape. Zur Überraschung vieler Beobachter verzichtete Bin Laden diesmal auf die Dschihad-Propaganda, auf die Kriegsrhetorik und Hasstiraden. Der Klimawandel, seine Ursachen und das amerikanische "Nichtstun" waren Thema seiner Ansprache.
Experten wie Hobby-Analysten rätseln: Was will der meistgesuchte Mann der Welt seinen Freunden und Feinden mitteilen? Warum die schnelle Abfolge der Botschaften, warum diese Thematik, warum jener Zeitpunkt?
Die erste Botschaft - Terror für Bush 2.0
Fest steht, Bin Laden will das Jahr 2010 nicht beginnen ohne sich zu Wort zu melden. Vorrangiges Ziel der ersten Botschaft dürfte dabei sein, zu zeigen:
1. Ja, ich lebe noch.
2. Ja, der Flugzeugattentäter Umar Abdulmutallab war unser Mann
3. Es wird weiteren Terror geben
4. unsere Ziele und unser Angebot ("eure Sicherheit für unsere Sicherheit") ändern sich nicht
5. Obama ist Bush 2.0
Interessant sind weniger die Themen, die der al Qaida Chef anspricht, sondern vielmehr jene, die er kommentarlos weglässt. Er nennt explizit ein freies Palästina als Bedingung für einen Waffenstillstand, erwähnt dabei keine der anderen Regionen in denen muslimisches Blut fließt. Grund hierfür: mit dem Leid der Palästinenser lässt sich leicht Sympathie gewinnen. In den Straßen von Gaza gab es nach der ersten Tonbandbotschaft Zustimmung für Bin Laden. Wenigstens einer, so schienen viele zu denken, denkt noch an uns.
Noch ein weiterer Fakt dürfte ausschlaggegebend gewesen sein, Palästina herauszupicken: der Nahostkonflikt wartet weiterhin auf eine Lösung. Obama konnte trotz anfänglicher Bemühungen so gut wie nichts erreichen. Der Siedlungsbau schreitet fort, Hamas erkennt den Judenstaat weiterhin nicht an, Ägypten baut unterirdische Stahlbarrikaden um den Menschen in Gaza den Schmuggel zu erschweren...kurzum, es sieht schlecht aus für Nahost.
Die zweite Botschaft - Osama der Klimaretter?
Warum aber widmet Bin Laden der globalen Erwärmung eine eigene Audiobotschaft? Was ist so wichtig daran dass sich der al Qaida Führer um das Weltklima sorgt?
Wieder ist Sympathie die Antwort. Der fanatische Gotteskrieger, der die Welt mit seiner mittelalterlichen Sharia-Anwendung unterjochen und zum Islam zwingen möchte, spielt den Klimaretter? Nein, tut er nicht, aber er lässt durchblicken dass auch er in seinem Versteck irgendwo in den Berghängen Waziristans, nicht unter Realitätsverlust leidet.
"Seht hier, ich bin doch von dieser Welt, und diese Welt leidet am Mensch-gemachten Klimawandel" - das soll herausgelesen werden aus dem jüngsten Tonband. Dass Bin Laden dabei die USA als Hauptverursacher für die globale Erwärmung ausmacht, dürfte niemanden überraschen. Man muss kein Dschihadist sein um zu diesem Schluss zu gelangen.
Die verbale Peitsche schwingt Osama Bin Laden hier aber hauptsächlich gegen Bush junior, der sich weigerte Kyoto zu unterzeichnen, auch weil es in seinem Gedankenspiel gar keiner Änderung in der Klimapolitik bedarf.
Nach evangelikaler Ansicht macht Umweltschutz wenig Sinn, denn bald wird ohnehin Christus wiederkehren und alles auf Erden richten.
Barak Obama bekommt von Osama die Ohrfeige weil er der "neue Agent" der Großkonzerne ist, die sowohl für den Klimawandel als auch für die Globalisierung und ihre Folgen verantwortlich seien.
Weil sich auch unter Obama - dem man dazu noch den Friedensnobelpreis verliehen hat - nichts ändere, so der al-Qaida Führer, bleibe als einzige Waffe gegen die "menschenverachtenden Folgen der Globalisierung" nur der Boykott des US Dollar. Ihn solle man "so schnell wie möglich" als internationale Leitwährung abschaffen, fordert Bin Laden. Dies würde nicht ohne Wirkung bleiben.
Zusätzlich präsentiert sich Bin Laden als gebildeter Leser amerikanischer Literatur. Noam Chomsky, Politologe, Philosoph und US-Kritiker, habe Recht, so der Terrorchef, wenn er die Politik der USA mit der, der Mafia vergleicht.
Erneut die Frage: gäbe es viele Nicht-Muslime im Westen, die Bin Laden hier widersprechen würden? Amerika der Haupt-Klimasünder? Amerika DIE treibende Kraft der Globalisierung? Amerikanische Konzerne Nr. 1 Ausbeuter der Welt?
Wer genau hinsieht erkennt, dass Osama eigentlich ATTACK Anhänger ist. Mit Sturmmaske und Palästinensertuch könnte er mit dieser Einstellung auch Flaschen auf Polizisten bei G8 Gipfeln schmeißen.
Ohne religiöse Floskeln, erstaunlich kurz, präzise und direkt bastelt der Osama Bin Laden an einem neuen Image. Al-Qaida als teufliches Konstrukt einer perversen, pseudo-religiösen Ideologie soll auf einen anderen Zug aufspringen: Globalisierungsgegnerschaft- und Antiimperialismus.
Der Feind bleibt der alte, die Ziele sind diesselben wie 2009 oder 2001, das Motiv erhält eine Komponente, die auf eine gefährliche Stimmung zurückgreift. In ihr vereint Bin Laden Kritik am Versagen Barak Obamas, an den Ursachen von Finanzkrise, Folgen von Globalisierung und Klimawandel und der US-Außenpolitik gnerell.
Aus dem Weißen Haus hieß es dazu al Qaida sei in der Defensive. . Der Präsident persönlich interpretierte Bin Laden´s jüngste Äußerungen als Zeichen der Schwäche. Dies dürfte etwas naiv und zu kurz gedacht sein. Hier war wohl der Wunsch Mutter des Gedanken. Von "Schwäche" zu sprechen wirkt fast schon humorvoll, bedenkt man dass ein dunkelhäutiger Millionärssohn nach einer Gehirnwäsche in einem jemenitschen Terrorlager, mit einer Unterhose voller Militärsprechstoff in einem Anschlussflug aus Europa, über den USA am Weihnachtstag beinahe 300fachen Mord im Namen al-Qaidas begehen konnte.
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