Saturday, June 13, 2009
Wahlfälschung auf Persisch
Es geht nicht mehr um besser oder schlechter, um richtig oder falsch. Was jetzt zählt ist Demokratie und Freiheit, zwei Elemente des iranischen Staates die seit heute nicht mehr existent sind.
Die Iraner gingen in Strömen zu den Wahlurnen, 85% Wahlbeteiligung, 45 Millionen Stimmberechtigte, jung, alt, Großstädter und Landleute, Arbeiter, Geschäftsmänner, Studenten, Straßenhändler, Männer, Frauen, Reformer und Hardliner. Sie gaben gestern ihre Stimmen ab in einer der wohl wichtigsten Wahlen in der Geschichte der Islamischen Republik Iran.
Internationale Berichterstattung der letzten Wochen hatte Teheran in den Mittelpunkt der Weltpolitik an diesem Freitag gerückt. Nun endlich, nach vier langen Jahren müssten die Iraner selbst durch der Ära Ahmadinejad ein Ende bereiten. Den Kurs den der Gottesstaat unter seiner Führung eingeschlagen hatte, führte das iranische Volk in eine wirtschaftliche Misere, in außenpolitische Isolation, Ablehnung von Seiten der Europäer und weltweite Entrüstung über die Holocaust-Leugnung des Präsidenten. Vielleicht wenig überraschend hatte der einstige Bürgermeister von Teheran seine Politik bestimmen lassen vom Geiste der Khomeini-Revolution, er bastelte, so behauptet zumindest das Ausland, an der persischen Atombombe, sein Hass und seine Ablehnung gegenüber Israel wurden sehr schnell deutlich und seine außenpolitischen Bestrebungen der Expansion und des Exports der Schiitisches Revolution trieben den Iran in eine gefährliche Ecke, im Visier der Administration von George W.Bush und vor allem im Fadenkreuz der Israelis, die keine Minute zögern würden um den Judenstaat durch die Vernichtung mit einer iranischen Nuklearwaffe zu verhindern.
Vier Jahre waren mehr als genug für die Welt, und natürlich für die Iraner selbst. Stillschweigend, beinahe selbst geschockt und ohne Erklärung für das Schauspiel was ihr Präsident im eigenen Land und bei Besuchen im Ausland vollzog, ertrug das Volk Ahmadinejad, seine religiösen Hardliner-Freunde und Unterstützer. Kleine Freiheiten die ihnen durch die fundamentalistische Mullah-Führung verboten wurden, verschafften sich die jungen Iraner selbst, begrenzte Zugänge zu Facebook, Twitter und Youtube konnten sie nicht abhalten in den Wochen und Monaten vor der Wahl eine Internet-Kampagne zu starten die ihre Landsleute zum Wählen bringen sollte. Erste Hoffnungen Anfang des Jahres, der ehemalige Präsident und populäre Reformer Chatami könnte sich als Gegenkandidat zu Mahmud Ahmadinejad aufstellen lassen verflogen, die Opposition der moderatern Politelite fand in Hussein Mussawi, einem 67jährigen Architekten und dem letzten Premierminister der Islamischen Republik, ihren Spitzenkandidaten und neuen Held der Jugend. “Change”, das verrieten Graffitis in Teheran, war das was sich die Iraner wünschten, einen Wandel, politisch, ökonomisch, gesellschaftlich. Mehr Freiheiten, Stärkung der Frauenrechte, weibliche Abgeordnete, eine Lockerung der orthodoxen Kleidungsvorschriften, das sind nur einige wenige Themen die wahlentscheidend werden sollten. Vielleicht auch angespornt durch den “Change” im Weißen Haus, durch die Hoffnungsfigur Barak Obama, der mehr denn je der islamischen Welt die Hand zu erreichen bereit ist und - was noch entscheidender ist - ein verständnisvolles Ohr für die Muslime zwischen Marokko und Indonesien zu haben scheint.
Raus aus der Isolation, der Welt zeigen dass der Iran kein finsterer, von einem anti-semitischen Teufel regierter Mullah-Staat ist.
Umfrage zeigten schon im Mai dass Mussawi mit einem Sieg rechnen kann, seine Unterstützer kommen aus der jungen Generation weltoffener Iraner, die einen Bruch wollen mit den revolutionären Tagen vor 30 Jahren. Studenten und Bildungshungrige stürzten sich für ihren Held in einen Wahlkampf der zu einer Schlacht zwischen alten und neuen Werten, zwischen einem Iran den die Welt zu fürchten begann und einem Iran der in die Weltgemeinschaft zurückfinden will. In TV-Duellen trafen Ahmadinejad und sein Kontrahent aufeinander, der Wortwechsel wurde teils ungekannt schmutzen, der amtierende Präsident versuchte die Ehefrau Mussawis zu verunglimpfen indem er ihr vorwarf akademische Titel durch Betrug erlangt zu haben. Familienangehörige mit in den Wahlkampf zu ziehen wird auch im Iran als schmutzige Hetzkampagne gesehen, Ahmadinejads Reaktionen, z.B. auf den Vorwurf ein Lügner zu sein, zeigten wie sehr der Präsident um sein Amt fürchten musste. Selbstsicher, teilweise beängstigend siegesgewiss trat er auf, ließ keinen Zweifel daran dass das iranische Volk mit seiner Politik einverstanden sei, die westliche Welt nur durch Israel gegen ihn aufgehetzt werden würde.
Gekennzeichnet mit der grünen Farbe der Opposition brachte Mussawi in den letzten Tagen tausende Anhänger auf die Straßen, Frauen wie Männer, die seinem Wahlkampfbus folgten, ihm zujubelten und alle Hoffnungen in ihn setzten einen Kurswechsel zu wagen.
Befragungen auf den Straßen von Teheran, Umfragen, Internet-Statements, persönliche Nachfrage, alles bestätigte gestern eines: Ahmadinejad wird nicht der 10.Präsident der Islamischen Republik Iran werden.
Dann der Schock für die Iraner: 63% der Stimmen fielen auf den alten und neuen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad. Laut offiziellem Amtsergebnis, vorgetragen auf einer Pressekonferenz heute vom iranischen Innenminister, konnte Mussawi nur 34% der Wahlberechtigten für sich gewinnen. Abgesegnet durch den religiösen Führer und Khomeini-Nachfolger Ali Khamenei, gilt von offizieller Seite her Ahmadinejad als der Sieger der Wahl.
Möglicherweise als böses Omen zogen schon am gestrigen Abend Gewitterwolken über Teheran auf, der Himmel verdunkelte sich. Erste Auszahlunsergebnisse wurden bekannt, und die Iraner verblieben in einem Schockzustand. Wenige trauten sich auf die Straßen als die Informationen über einen Vorsprung Ahmadinejads zu ihnen durchdrangen. Wie konnte er bei einem derartigen Ansturm von Mussawi-Anhängern auf die Wahllokale einen solchen Sieg verbuchen? Ohne Proteste ließen die Unterstützer der Opposition die Nachrichten vom Scheitern ihrer demokratischen Revolution nicht auf sich ruhen, es bildeten sich vereinzelt Demonstrationsgruppen, die Polizei marschiert seit der Nacht in der Hauptstadt auf, inzwischen soll sogar das Militär im Einsatz sein. Exil-Iraner verfolgen mit Entsetzen die Geschehnisse in ihrer Heimat vor dem Fernseher oder Computer, immer telefonisch im Kontakt mit Familie und Freunden im Iran. Vielen kommt es vor als seien die Zahlen einfach vertauscht, ihr Kandidat habe einfach Ahmadinejads Stimmzettel bekommen und damit haushoch verloren. Aus dem Iran selbst dringen Berichte an die Medien die aufhorchen lassen. Manche Wahlbezirke verzeichnen über 80% Stimmanteil für den amtierenden Machthaber, obwohl die örtlichen Oppositionsführer niemanden in ihrem Dorf oder Stadtteil kennen der für Ahmadinejad gestimmt hat. Wahlbüros in den iranischen Botschaften in Europa hatten gestern teilweise 90% Mussawi-Anhängerschaft als Wähler gelistet, dennoch erhielt sein Gegner eine so überwältigende Mehrheit. Diktator, mit diesen Titel darf sich Mahmud A. ab sofort offiziell schmücken, Untersuchungen der Wahlvorgänge stehen nicht an, internationale Beobachter gab es eine Hand voll. Für ihn, so äußerte sich der Präsident, gebe es keinen Zweifel am Endergebnis, das Volk habe sich frei und demokratisch entschieden und seine Fortsetzung seiner Politik bestimmt. Kaum ein Beobachter von Washington bis Berlin hatte eine derartig dreist gefälschte Wahl erwartet, zumal dem Regime klar gewesen ist dass die Augen der weltweiten Medien auf den Iran gerichtet sein werden an diesem Wochenende. Bis jetzt ohne Blutvergießen, ohne mörderische Gewalt und chinesische Zustände sichert die Regierung ihre Position, lässt große Protestgruppen von den Sicherheitskräften auflösen und versucht den Volksaufstand im Keim zu ersticken.
Den multimedialen Zugang können die Anhänger und gepanzerten Trupps jedoch nicht blockieren, Videos und Fotos von erster Polizeigewalt und anti-demokratischer Vorgehensweise einer offensichtlich vom Volk abgewählten Regierung gelangen über Youtube, Facebook und Twitter in alle Welt. Online lässt sich minutiös, beinahe live verfolgen was die Kameras von CNN & Co nicht einfangen können oder dürfen. Junge Iraner zieht es auf die Straße, Protestmärsche setzen sich seit dem Morgen in Bewegung, offen skandieren Anhänger Mussawis Vorwürfe der Wahlfälschung.
Von einigen Quellen ist zu hören dass die Bevölkerung in Teheran aufgefordert wird in den Häusern zu bleiben, draußen marschieren Paramilitärs und Einheiten der Armee auf in denen arabischsprechende, großgewachsene Männer dienen sollen, iranische Augenzeugen sprechen von Mitgliedern der Hisbollah und der irakischen Schiiten-Milizen. Wagt Ahmadinajed vor den Augen der Welt das gewaltsame Festhalten an der Macht? Im Moment sieht es aus als sei für ihn kein Ausnahmezustand eingetreten, es handle sich nur um die üblichen enttäuschten Anhänger der Opposition. Letztendlich aber ist es der pure Aufschrei einer gefangenen und unterdrückten Bevölkerung. Den Iranern wurden die demokratischen Stimmen genommen, jetzt will sich das Volk anders Gehör verschaffen. Schon seit gestern weiß man dass es in den ländlichen Gebieten des Landes für Mussawi-Wähler schwierig bis unmöglich war an der Wahl teilzunehmen. Erschienen sie an den Wahlurnen hieß es, es seien nicht genug Stimmzettel vorhanden, weil man nicht mit einem solchen Andrang gerechnet habe. Kleine Details offenbaren ein System der Wahlfälschung, ein politisches Drehen und Wenden bis der Ausgang der Präsidentenwahl im Sinne des Regimes zurechtgebogen ist. Noch hörte man vom gescheiterten, tragischen Held der Ahmadinajed-Gegner, Hussein Mussawi nur man habe es offensichtlich mit einer Fälschung der Wahlen zutun. Seine Anhänger erwarten mehr Statements, eine unterstützende Rede. Es brodelt in Teheran am Tag nach der Wahl, in der Luft liegt die Stimmung einer Revolution. Springt der Funke über? Ist Ahmadinejads Machtsicherung gefährdet?
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