Wednesday, June 17, 2009

Die Zukunft Al Qaidas


Zwei deutsche Bibel-Studentinnen, weitere europäische Geiseln werden im Jemen vermisst. Mörder und Geiselnehmer bleiben unbekannt, niemand übernahm Verantwortung für die schreckliche Bluttat vom Montag, keine Terrororganisation bekannte sich zur Entführung, Hinweise auf kriminelle Täter bleiben Theorien.


Ob nun Al Qaida´s saudisch-jemenitischer Ableger hinter der Ermordung und dem Kidnapping der Ausländer-Gruppe im Jemen verantwortlich ist oder nicht. Diese Ereignis, genau wie andere in jüngster Vergangenheit sind symbolisch für eine Entwicklung des Terrornetzwerkes die Sorge bereitet.
Die Al Qaida des 11.Septembers 2001 war bereits eine andere als die Organisation es in den späten 1990er Jahren war. Im Laufe des Antiterrorkrieges der USA und ihrer Verbündeter entstand aus dem globalen Dschihad-Netzwerk von Osama Bin Laden ein völlig neues Wesen, eine Bewegung der radikalsten Islamisten, deren Ideologie in einer Art Franchise-System mehrere Länder und Krisenherde infizierte.

Die Zeiten in denen jene Extremisten die in den Heiligen Krieg ziehen wollten in die Lager in Afghanistan reisten, dort monatelang unter Taliban-Herrschaft in einem Sharia-Paradies, trainierten und danach nach Tschetschenien, Bosnien oder ihre europäischen und arabischen Heimatländer zurückkehrten, sind längst vorbei.
Veranlasst sich durch den Sturz des Taliban-Regimes neue Trainingsgebiete zu suchen, schlugen die Bin Laden Anhänger ihre Camps in den pakistanischen Stammesgebieten auf. Wer auf den Schlachtfeldern Afghanistan gegen die NATO kämpfen will, lässt sich seit 2003 in den dortigen Terrorschulen ausbilden. Dutzende, vielleicht hunderte solcher Einrichtungen finden sich in den Herrschaftsgebieten der örtlichen Taliban-Kommandeure zwischen Swat und Belutschistan.
Die Mehrheit der derzeit aktiven Dschihadisten, inklusive europäischer und auch deutscher Islamisten, hat hier den terroristischen Schliff erhalten und wurde ideologisch weiter radikalisiert. Die Attentäter der Anschläge von London, viele in Europa verhaftete Terroristen und eine Reihe der islamistischen Kämpfer die im Irak starb, haben Lager in Waziristan besucht.

Inzwischen gehört aber auch dieses Al Qaida System langsam aber sicher der Vergangenheit an. Der militärische Druck, in erster Linie durch die Drohnenangriffe der US-Armee und des pakistanischen Militärs, auf die Gotteskrieger in den Stammesgebieten wächst, in einigen Teilen des Landes finden blutige Machtkämpfe zwischen Pakistans Armee und den Taliban-Fürsten statt, die Islamisten büßen gerade im Norden mehr und mehr Einflussgebiet ein.

Tausende Kilometer entfernt aber funktioniert das System der ideologischen und organisatorischen Expansion in erstaunlich guter Weise. Al Qaidas bisher erfolgreichster Spross fern des Hindukusch war der Ableger der Organisation im Irak. Von Abu Mussab al Zarqawi zusammengeführt entwickelte sich die “Al Qaida im Zweistromland” zum schlagkräftigsten Terrornetzwerk im Nahen Osten. Hunderte Selbstmordanschläge, spektakuläre Angriffe auf US-Basen, Gefängnisse, Hotels mitten in Bagdad, Entführungen und Enthauptungen vor laufender Kamera - alles was Zarqawis Gruppe innerhalb weniger Jahre auf furchtbarste Weise vollbrachte wies die bisherigen Terroristen der Region, Hamas, Hisbollah und PKK, in den Schatten der Al Qaida zurück.
Unterstützt von einem Strom Freiwilliger aus der arabischen Welt etablierte sich der irakische Zweig von Bin Ladens Gruppierung, als gefährlichste Kraft im Post-Saddam-Irak. Abu Mussab al Zarqawi wuchs zu einem Helden der Dschihad-Szene heran, sein Charisma, seine maßlose Brutalität und Rücksichtslosigkeit, brachten ihn mit Osama Bin Laden auf ein Popularitätslevel. Getötet von amerikanischen Bomben im Juni 2006 verschwand mit Zarqawi die wohl charismatischste und karrieremäßig erfolgreichste Führungsperson des modernen Dschihad. Für seine Anhänger stieg er zum verehrten Märtyrer auf, die Realität auf dem Boden aber ließ sein Lebenswerk, die Al Qaida im Irak, zusammenbrechen. Große Anschläge gegen schiitische Zivilisten sollten einen Bürgerkrieg entfachen der sich wie ein Buschfeuer über das ganze Land ausbreitete, die irakische Gesellschaft durchzog und für eine katastrophale Sicherheitslage sorgte. Problematisch wurde es als die sunnitische Bevölkerung, die Basis für den Erfolg der irakischen Terrorgruppen, der Gewalt durch racheübende, schiitische Milizen ausgesetzt waren, nur noch durch brutale Maßnahmen zur Unterstützung der Dschihadisten gebracht werden konnte. Iraks Sunniten wendeten sich, auch gesponsert durch amerikanische Bezahlung, gegen die islamistischen Kämpfer. Woche für Woche melden seitdem die irakischen Sicherheitskräfte Erfolge im Kampf gegen Al Qaida, die seit zwei Jahren den Namen “Islamischer Staat im Irak” trägt und an Mitgliederschwund leidet. Führungsfehler, strategische Unfähigkeit, ein Mangel an Rekruten, Finanzen und Unterstützung durch örtliche Bevölkerung lassen die Organisation seit gut anderthalb Jahren einen schrittweisen Tod sterben. Militärisch gilt Al Qaida im Irak als besiegt, terroristisch sollte man die Gotteskrieger und ihren kamerascheuen Anführer Abu Hamza al Muhajir nicht. Immer noch sind die verbleibenden Zellen in der Lage Selbstmordanschläge zu verüben, die Gefahr eines ausufernden Bürgerkrieges zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden scheint noch lange nicht gebannt.

Im achten Jahr nach dem 11.September stellt Afghanistans Al Qaida ein Monster dar, dessen viele Köpfe über den Globus verteilt sind und längst nicht mehr auf eine zentrale Führung angewiesen sind. Osama Bin Laden und sein Vize Ayman al Zawahiri dienen heute nur noch als ideologische Wegbereiter, äußern sich regelmäßig in Video-und Audiobotschaften aus ihren Verstecken heraus zu aktuellen Themen der Weltpolitik. Zusammen mit dem inoffiziellen religiösen Schirmherr, Abu Yahya al Libi, verfehlen die Propagandaproduktionen jedoch nicht.
Al Qaida hat Metastasen gebildet, die derzeit aufstrebendste in Nordafrika. Die ursprünglich in Algerien ansässige “Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf” hat sich zur “Al Qaida im Islamischen Maghreb” gewandelt, wächst seitdem und lässt durch Videos und Nachrichtenmeldungen die ganze Welt wissen dass sich in Algerien, Tunesien, Marokko, Libyen, Mauretanien, Tschad, Niger und Mali ab sofort kampfbereite Gotteskrieger nach den Befehlen Bin Ladens richten, europäische Touristen entführen, jüngst eine britische Geisel ermordeten, Suizidbomber gegen westliche Ziele und nordafrikanische Sicherheitskräfte einsetzen. In manchen Gegenden der Maghreb-Region herrschen tatsächlich schon “afghanische Zustände”, Geheimdienste von Washington bis Paris sprechen von einer wachsenden terroristischen Gefahr für Europa.
Nicht nur die “Al Qaida der Maghreb” macht im Jahr 2009 den Anti-Terror-Kämpfern große Sorgen. Gruppen im Libanon, in den palästinensischen Gebieten, in Somalia und dem Jemen haben sich dem Terrornetzwerk angeschlossen. Vorgestern erst schworen die Anführer der somalischen Shabaab-Miliz den Treueseid auf Bin Laden und traten damit in die Al Qaida-Familie ein.
Unter dem Namen “Fateh al Islam” kämpfen seit Jahren radikale Sunniten im multi-religiösen Zedernstaat Libanon den Dschihad. Aus den palästinensischen Flüchtlingslagern wie Nahr el Bared und Ain al Hilweh rekrutieren die Islamisten mehr und mehr Kämpfer, liefern sich immer wieder heftige Gefechte mit der libanesischen Armee die um die wachsende Terrorgefahr in den Palästinenser-Slums weiß. Bald schon wird die Gruppe ihren Namen ändern, unter Al Qaida Flagge kämpfen und eine Zweigstelle des Dschihad in unmittelbarer Nähe zum verhassten Zionisten-Staat Israel darstellen. Erste Bekennerschreiben nach Raketenangriffen aus dem Südlibanon auf israelische Dörfer enthielten bereits die Unterschrift der “Al Qaida in Levant”.
Erste Befürchtungen die Ideologie des weltweiten Dschihad könnte auf die Palästinensergebiete übergreifen bewahrheiten sich zunehmend. Noch nicht in der Westbank, wohl aber im Gaza-Streifen verzeichnen die israelischen Geheimdienste wachsende islamistische Aktivitäten außerhalb der Hamas-Bewegung. Ideologisch gesehen ist die in Gaza aktive “Jund Ansar Allah”, eine Weiterentwicklung der ehemaligen “Jaish al Islam”, viel radikaler, viel weniger kompromissbereit als die Islamisten der Hamas. Talibanähnliche Ansichten warben den großen palästinensischen Widerstandsfraktionen frustrierte, ultrareligiöse Mitglieder ab. Gesponsert durch ausländische Geldgeber findet man heute im Gaza-Streifen einen offizielle palästinensische Al Qaida Filiale, deren Anführer “Abu Abdullah al Muhajir” sogar ein ausländischer Extremist sein soll, der zusammen mit mehreren internationalen Terroristen über die ägyptische Grenze nach Gaza gelangt sein soll als diese in der Vergangenheit mehrfach freien Personenverkehr zuließ.
In den Salafisten der “Jund Ansar Allah” sieht die Hamas-Regierung einen lästigen Konkurrenten, der das internationale Bild vom islamistischen Terror der Palästinenser nährt, den Israelis Argumente liefert von einer direkten Al Qaida Gefahr vor der eigenen Haustür zu sprechen.
Während der letzten Militäroffensive Israels, der Operation “Gegossenes Blei” Anfang des Jahres, sollen gar Mitglieder des bewaffneten Hamas-Flügels stadtbekannte Anhänger der salafistischen Gruppen gezielt ermordet haben, Fotos der exekutierten, langbärtigen Islamisten fanden sich später auf etlichen Al Qaida-nahen Internetseiten.

Längst angekommen sind die Ableger des Terrornetzwerkes im ärmlichen Süden der arabischen Halbinsel. Traditionell von einem konservativen, wahhabitisch beeinflussten Islam geprägt schlossen sich einheimische und ausländische Fundamentalisten unter der Führung des ehemaligen Bin Laden Sekretärs “Abu Basir” im Jemen zusammen, formten die “Al Qaida auf der arabischen Halbinsel” und erreichten somit eine Art Wiederbelebung der ursprünglichen saudischen Bewegung der Al Qaida verbündeten “Al Haramain-Brigade”, die durch den Anti-Terror-Kampf des saudischen Königshauses in den letzten Jahren ihren Todesstoß erhielt und sich in das südliche Nachbarland ohne wirkliche Regierungskontrolle über die nördlichen Provinzen zurückziehen musste.
Hier errichtet Al Qaida seit Jahren nun schon eine feste Bastion, ohne große Kenntnisnahme der Geheimdienste, ungehindert von den jemenitischen Sicherheitskräften, teilweise sogar mit der Duldung der Regierung von Präsident Saleh. Terrorlager in den Bergen außerhalb der Hauptstadt Sanaa sollen mehrere hundert Islamisten aus der ganzen arabischen Welt ausbilden, die dortigen Kommandeure schickte die Al Qaida Führung aus Pakistan, Afghanistan und dem Irak an den Persischen Golf um in Reichweite der strategisch extrem empfindlichen saudischen Öl-Industrie einen Dschihad fortzusetzen der wahrscheinlich jüngst zwei deutschen Bibel-Studentinnen und einer südkoreanischen Lehrerin das Leben kostete.

Beobachter gehen davon aus dass die Expansion der von Osama Bin Laden in eine Form gebrachten Ideologie längst nicht abgeschlossen ist. Wandelbar und anpassungsfähig verfolgt Al Qaida die Strategie vom Feind unbemerkt Rückzugsgebiete zu erschließen, Kämpfer auszubilden und dann dort zuzuschlagen wo es am wenigsten erwartet wird. Regionen wie Westafrika, die muslimischen Landesteile Nigerias, Malis, des Senegals, Nigers und des Tschad hat Al Qaida seit geraumer Zeit ins Auge gefasst, von Somalia aus drohen die Islamisten nach Kenia einzusickern, es gibt Berichte über erste Trainingscamps in der von Uiguren bewohnten chinesischen Provinz Xinjiang, Sprecher der “Islamischen Partei Turkestans” tauchten in Propagandavideos auf, beschworen ihre Treue zu Bin Laden und Taliban-Führer Mullah Omar. Bombenanschläge und Attentate in Usbekistan, Tadschikstan und Turkmenistan weisen auf Aktivitäten der Dschihadisten in Zentralasien hin.
Auf den Philippinen scheint der Konflikt zwischen der Regierung den islamischen Kampfgruppen der “Moro Befreiungsfront” und der kriminell agierenden “Abu Sayyaf” längst nicht beendet zu sein. Vermehrt kam es auch hier zu Gefechten mit Islamisten im Dschungel des Inselreiches.
Al Qaida´s Appell an die türkischen Unterstützer Geld für den Dschihad bereit zu stellen könnte Hinweis darauf sein dass der europäischste aller muslimischen Staaten neues Rekrutierungsfeld des Terroristen sein könnte. Die Zahl der in Afghanistan und Pakistan getöteten türkischen Kämpfer jedenfalls würde dies untermauern.

Sehen den weltweit gefährlichsten Zusammenschluss gewaltbereiter islamischer Extremisten acht Jahre nach 9/11 geschwächt, in einigen Teilen des Globus gar auf der Flucht oder zumindest in der Defensive, so sprechen die weltpolitischen Ereignisse der jüngsten Zeit eine andere Sprache. Al Qaida´s Zukunft wird gerade erst geschrieben, von Vernichtung ist noch nichts in Sicht, temporäre Siege über die militanten Islamisten täuschen über das Gesamtbild hinweg. Weder Osama Bin Laden, noch Ayman al Zawahiri wurden getötet oder verhaftet, Ex-Präsident Bush musste vor seinem Erzfeind von der Weltbühne verschwinden und Europas Geheimdienste kämpfen fieberhaft gegen eine Flucht von Drohungen und Anschlagsplanungen. Wie so oft, leben tot Geglaubte eben doch länger.

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