Jahrelang kämpften US-Soldaten in einem entlegenen Tal in Afghanistan gegen Taliban und al-Qaida. Vor zwei Wochen ließ das Penatgon den hartumkämpften Außenposten räumen und beendete damit eine blutige und zermürbende Mission, die zuletzt kaum noch Sinn gemacht hatte.
In der vorletzten Woche war es so weit. US-Soldaten holten den Sternenbanner ein, und verließen einen der gefährlichsten Außenposten Afghanistans. Es war bereits die dritte Militärbasis, die vom US-Militär im Osten Afghanistans geräumt wurde.
Doch Korengal ist anders als die anderen. Jahrelang hatten amerikanische Soldaten das Tal unter hohem Blutzoll erbittert gegen Taliban und al-Qaida verteidigt. Dabei war Korengal zum Symbol für die Grenzen der modernen Kriegsführung geworden. US-Soldaten tauften es das „Tal des Todes.“
An keinem anderen Ort Afghanistans verzeichnet das US-Militär mehr Taliban-Angriffe. Insgesamt 111 westliche Soldaten starben in der gesamten Provinz, davon seit 2005 alleine 42 US-Soldaten im Korengal-Tal. In einige Einheiten wurde jeder zweite Soldat mindestens einmal verwundet.
Korengal liegt in der ostafghanischen Provinz Kunar, direkt an der Grenze zu Pakistan. Das Tal ist gerade einmal 9km lang, etwa 1,5km breit und vom reißenden Fluss durchzogen. An dessen Ufern erheben sich steile Berghänge, dicht bewachsen mit Nadelbäumen. Befestigte Straßen gibt es keine, nur verschlungene Pfade.
Ausgerechnet in diesem abgelegenen Teil Afghanistans errichtete das US-Militär im April 2006 eine sogenannte „Forward Operating Base“ (FOB), einen Außenposten. Versorgt werden konnte dieser nur per Hubschrauber, Zufahrtsstraßen gibt es nicht.
Das Gelände, auf dem die Marines damals Bunkeranlagen und Container-Behausungen aus dem Boden stampften, gehörte einem lokalen Taliban-Kommandeur, der es als Sägewerk genutzt hatte.
Der Auftrag der hier stationierten US-Truppen war zunächst das Einsickern von al-Qaida Terroristen und Taliban über die pakistanische Grenze nach Afghanistan verhindern. Darüber hinaus sollten sie die lokale Bevölkerung zu verlässlichen Partnern der Zentralregierung von Kabul machen. Mittlerweile ist klar, dass die US-Soldaten scheiterten. Ihnen gelang es nicht Korengal in das 21.Jahrhundert zu holen, sagte einer der Soldaten.
Die amerikanische Mission entwickelte sich über die Jahre aber mehr und mehr zu einem sinnlosen Selbstverteidigungs-Einsatz, der dutzende Soldatenleben kostete und keinerlei ersichtliche Fortschritte brachte. Wideraufbau und Entwicklungshilfe fanden in Korengal kaum statt, auch weil die Amerikaner täglich damit beschäftigt waren sich selbst zu schützen. Aus Frustration griffen einige der Soldaten zu Drogen, wie Urintests bewiesen.
Vor einer Woche nun wurde Korengal von den noch verbliebenen 157 US-Truppen geräumt. Was nicht mitgenommen werden konnte, sprengten die Amerikaner.
„Die Schlacht ändert sich, der Krieg ändert sich“, hatte US-Oberbefehlshaber General McChrystal bei seinem letzten Besuch in Korengal am 08.April erklärt, „Wir waren hier langsamer, als ich es mir gewünscht hatte.“ Er könne nichts für diejenigen tun, die in Korengal ihr Leben gelassen hatten, so McChrystal, aber er könne etwas für jene tun die in der Zukunft verletzt oder getötet würden. Daher der Abzug der US-Armee.
Dass die Mission in den Bergwäldern von Korengal nun vorbei ist, erleichtert viele US-Soldaten, die dort über die Jahre hinweg teilweise mehrfach ihren Dienst taten.
„Es verwirrt mich, warum sie so lange gebraucht haben um zu realisieren dass wir dort oben keine Fortschritte machen“, berichtet Robert Soto der zwischen 2008 und 2009 als Teil der 26.Infantrie der US-Armee in Korengal stationiert war.
Sein Kamerad First Sgt. Bryan Reed findet deutlichere Worte: „Realistisch gesehen muss hier niemand sein. Wir betreuen hier nicht wirklich irgendetwas außer unseren eigenen Schutz.“
Einige US-Soldaten sehen den Rückzug aus dem „Tal des Todes“ kritischer. Immerhin ließen hier etliche Kameraden im Kampf gegen die Taliban ihr Leben.
„Es ist frustrierend, weil wir dort geblutet haben und jetzt gehen wir“, sagt Cpt. John Rodrigez, „Man fragt sich: War es all diese Opfer wert? Aber nur weil man ein paar Jungs an diesem Ort verloren hat, heißt das nicht, dass man dort bleiben muss.“
Einige der blutigsten Gefechte des Afghanistan-Krieges fanden in Korengal statt. Nirgends kam es häufiger zu Taliban-Angriffen als in diesem Tal.
Der wohl schlimmste Vorfall ereignete sich im Juni 2005, als ein Trupp der US-Eliteeinheit „Navy Seals“ in einen Taliban-Hinterhalt geriet. Drei Soldaten starben beim Feuergefecht mit mehreren dutzend Aufständischen, ein vierter rettete sich alleine in ein nahegelegenes Dorf. Als eine weitere Seals-Einheit zur Rettung der Kameraden anrückte, schossen die Taliban den Chinook-Transporthubschrauber ab. Acht Mitglieder der „Navy Seals“ und acht weitere US-Soldaten wurden dabei getötet.
Das Terrornetzwerk al-Qaida präsentierte den tödlichen Hinterhalt später in einem Propagandavideo und präsentierte die trophäengleich Leichen der getöteten US-Elitesoldaten.
„Die Taliban sind wie Geister in der Nacht“, beschreibt ein amerikanischer Soldat die Situation in Korengal. Frontalangriffe mieden die Islamisten. Sie konzentrierten sich darauf die Amerikaner mit nächtlichen Raketen- und Mörserangriffen zu terrorisieren. Kaum ein Tag verging an dem nicht Patrouillen in Feuergefechte mit Taliban gerieten. Kamerateams amerikanischer Fernsehsender kamen nach Korengal wenn sie live einen Angriff auf die Truppen filmen wollten.
Schon aufgrund seiner geografischen Gegebenheiten war Korengal für die US-Truppen ein äußerst gefährliches Pflaster. Die Taliban finden in den dichten Bergwäldern perfekte Bedingungen für Hinterhalte. Sie passten die Amerikaner auf ihren Patrouillen an den wenigen Pfaden ab, und eröffneten das Feuer vom gegenüberliegenden Berghang.
„Alles auf der anderen Seite des Tals ist ihr Territorium“, erklärt ein US-Soldat, „Einheimische redeten zwar mit uns, aber alles was sie sagten, mussten wir mit Vorsicht genießen. Es war unmöglich zu sagen, wer auf wessen Seite war.“
In fünf Jahren Stationierung konnten die US-Truppen nie wirklich Kontakt zur lokalen Bevölkerung von Korengal aufbauen. Boten die Amerikaner Entwicklungshilfe an, lehnten die Korengalis diese ab. Es gelang den ausländischen Soldaten nicht, die kulturellen Differenzen zu überbrücken und so bestand das permanente Misstrauen von beiden Seiten fort.
Die 4,500 Dorfbewohner von Korengal leben in einer Jahrhunderte alten Kultur, in der Fremde als Eindringlinge abgelehnt werden. Ihre verstreuten Bergdörfer liegen weit weg von jeglicher Zivilisation. Archaische Stein- und Lehmhütten prägen das Landschaftsbild. Elektrizität findet man kaum, es gibt fließendes Wasser, kein Fernsehen, nur wenige Telefone.
Die US-Soldaten mit schwerer Bewaffnung und Ausrüstung wirken hier wie Außerirdische. „Ich würde behaupten dass man keinen einzigen Korengali findet, der irgendwelche Hilfe von außen will“, berichtet Major James Fussell, der zwei Jahre als Soldat der „Special-Forces“ in Korengal diente.
Wo mit der Stationierung der amerikanischen Truppen zwei Welten aufeinanderprallten, scheiterten die westlichen Soldaten bereits an der Sprachproblematik. Die Korengalis sprechen keine der in Afghanistan dominierenden Landessprachen Pashtu oder Dari, sondern Pashai. Nur wenige tausend Menschen beherrschen diese Sprache und so war es lange Zeit ein Problem, Dolmetscher zu finden.
Zudem ist die Analphabetenrate unter den Einheimischen immens hoch, da es in Korengal faktisch keine schulische Bildung gibt. Generationen von Korengalis leben von der Land- und Holzwirtschaft und verlassen das Tal nur äußert selten. Sie sind Bauern, bewirtschaften Felder, die sie, genau wie ihre Häuser, terrassenartig in die Berghänge graben. Haupteinnahmequelle der Tal-Bewohner ist jedoch der Holzhandel. Das wertvolle Zedernholz des Korengal wird über die Grenze nach Pakistan geschmuggelt und dort verkauft. Taliban sollen durch Schutzgelder am Edelholz-Handel mitverdienen.
„Man gewinnt keine Herzen und Köpfe,wenn die Menschen sich nicht selbst helfen“, so der US-Soldat Derek Knapp, der mit der 12.Infantrieeinheit in Korengal diente, „Wir haben versucht ihnen Elektrizität, und eine Straße zu bringen, wie wir es anderswo auch tun, aber hier beißen wir auf Granit.“
Die Zentralregierung von Kabul spielt im Leben der Einheimischen keine Rolle. Was zählt sind der Islam und die uralten Stammes-Gesetze, gewachsen in einer weitestgehend isolierten Kultur. Dorfälteste und Klanchefs haben in Korengal das Sagen, sie sind Gerichtsbarkeit und einzige Autorität. Afghanistans Präsident Karzai hat für die meisten Korengalis keinerlei Relevanz, seine Welt ist nicht die ihre.
„Die Leute dort erkennen keine andere Regierung außerhalb ihres Dorfes an“, resigniert der ehemalige Elitesoldat Major Fussell, „Wenn man zu ihnen geht und sagt: Wir wollen euch beschützen und bieten euch an, eine Straße zu bauen, sagen sie: Wir wollen keine Straße.“
Anfangs hegten die Korengalis noch keine Feindseligkeit gegenüber den amerikanischen Soldaten. Von Taliban oder den internationalen Terroristen der al-Qaida hatte sie noch nie etwas gehört. "Gelegentlich kamen Taliban oder al-Qaida Mitglieder durch diese Gegend, aber die Korengalis waren auf keinen Fall Teil des Aufstandes“, bestätigt Major Fussell, „Unglücklicherweise sind sie das jetzt, weil sie bereit waren jede Hilfe zu akzeptieren um uns loszuwerden.“
Für das US-Militär stellte sich nach Jahren der Feuergefechte und einem hohen Blutzoll letztendlich die Frage, ob Korengal tatsächlich zu einer gefährlichen Hochburg der Taliban werden würde oder ob es das nicht längst war.
Die Frage zum Korengal ist: Wie viele dieser Kämpfer würden jemals von dort aus in den Kampf anderswo ziehen, wenn man das Tal alleine ließe?“, hatte General McChrystal im vergangenen Jahr in einem Interview erklärt. Er glaube, die US-Operationen in Korengal würden letztendlich mehr Widerstand erzeugen.
US-Kommandeure hatten versucht mit den Taliban zu kommunizieren, wollten sie über die Dorfältesten dazu bewegen Entwicklungshilfe in Korengal zuzulassen. In einem Brief an Nasrullah, einen lokalen Warlord der Islamisten, boten ihm die Amerikaner die Wahl zwischen Entwicklungshilfe und dem Tod.
„Es ist nicht unser Wunsch deine Korengali-Brüder zu töten“, schrieb Cpt. Mark Moretti, 28jähriger Kommandeur der US-Truppen in Korengal „aber wir sind gut darin und werden es weiter tun solange ihr uns bekämpft.“
Nur zwei Tage später antwortete Nasrullah: „Wenn ihr weiterhin für menschengemachtes Recht kämpft, dann werden wir euch bekämpfen bis zum Jüngsten Tag.“
Die Taliban hatten den Abzug der verhassten Amerikaner aus Korengal ersehnt und herbeigebombt. Sie kamen aus Pakistan über die Grenze, teilweise unterstützt durch arabische Dschihadisten, und hatten letzter Zeit ihre Angriffe verstärkt. Kaum hatten die US-Einheiten den Außenposten Korengal geräumt, führten die Islamisten ein Kamerateam von Al-Jazeera durch die verlassene Militärbasis. Stolz präsentierten sie zurückgelassene Munition und Ausrüstungsgegenstände der Amerikaner als Propagandasieg.
„Es wurde viel Munition zurückgelassen – Mörser und Raketen“, behauptete der lokale Taliban-Kommandeur Anwar, „So Allah will werden wir sie gegen die Amerikaner einsetzen.“
Zweifellos scheiterte die US-Mission in Korengal auch, weil die Bevölkerung den ausländischen Truppen die Zusammenarbeit verweigerte. Einer der Dorfältesten erklärte vor Kamera von Al-Jazeera die möglichen Beweggründe: „Wir wollen hier keine Amerikaner, keine Deutschen oder irgendwelche Ausländer. Wir wollen Frieden, wir wollen die Taliban und den Islam.“
2 comments:
Thank you for this commentary report, which is describing the Afghan situation very impressive, and correct due to my experiences there.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Darf ich fragen wo und in welcher Tätigkeit Sie in Afghanistan Erfahrungen sammeln durften/mussten?
Kontakt gerne über:
polinewsinternational@yahoo.com
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