Wednesday, March 18, 2009

Keltische Bewährungsprobe

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Ein Tropfen genügt und das Fass läuft über. Wie brenzlig die Situation in Nordirland zurzeit ist erfahren die Menschen rund um Belfast dieser Tage am eigenen Leib. Zweimal schlugen die Gespenster der Vergangenheit inzwischen zu, zwei Morden die auf das Konto von IRA Hardlinern gehen. Jahrzehntelanger Hass hat eine Gesellschaft geschaffen in der Misstrauen kaum zu überwinden ist, in denen sehr schnell alte Verhaltensmuster wieder auftauchen. Hier bedarf es keiner spektakulären Aktionen um eine Dynamik in Gang zu setzen die kaum aufzuhalten wäre. Die Lawine der Gewalt kann wieder rollen, sollten die Nordiren nicht geschlossen gegen den Terror eingestehen. Keiner Gruppe darf es gelingen sich als Vertreter einer legitimen Meinung zu präsentieren, kein Terrorist darf als Freiheitskämpfer akzeptiert werden. Zu lange schon fanden die Radikalen Gehör, bestimmten durch ihre Aktionen den Kurs in Nordirland. Die kommenden Wochen werden zur Bewährungsprobe für zwei Völker, die endlich eins sein wollen.

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Kaum jemand hatte daran gezweifelt dass es passieren wird, dass es so schnell kam überraschte die meisten. Sie schlugen aus dem Hinterhalt zu, lockten eine Polizeistreife abends in ein weitestgehend katholisches Stadtviertel und erschossen den Beamten als dieser in seinem Wagen saß. Eine Kugel traf Stephan Carroll zielsicher in den Hinterkopf, jede Hilfe seiner nur wenige Meter entfernten Kollegen kam zu spät.
Wieder sind die Täter IRA Mitglieder, wieder eine Hardliner-Splittergruppe, diesmal die Continuity-IRA (CIRA), die sich über ein Bekennerschreiben meldete, wieder will niemand der Anwohner etwas gesehen oder gehört haben. Schweigen regiert Nordirland wieder, Zusammenarbeit mit der Polizei, sogar Aussagen gegenüber Journalisten werden als Verrat gebrandmarkt. Angst vor dem Terror, Furcht vor dem Ungeheuer das zwar im Untergrund aktiv, trotzdem allgegenwärtig scheint, nistet sich in den Köpfen der Menschen in Ulster ein. Hinweise auf die Mörder und ihre Unterstützer werden immer öfter morgens sichtbar, wenn die Sonne die moosbewachsenen Mauern und Häuserwände erhellt. Graffitis gehören immer schon zum Kommunikationsmittel im Nordirlandkonflikt, an ihnen lassen sich Stimmungen ablesen, sie markieren die Hoheitsansprüche der jeweiligen Volksgruppe, sie sind Zeichen der Unterstützung und Bewunderung für die militanten Untergrundkämpfer, sind politische Botschaften, Warnungen, Ausdruck von Hass und Sympathie. Viele dieser Wandschmierereien ließ man im Laufe der vergangenen Jahre entfernen, nichts sollte den alten Zwist wieder aufflammen lassen, Hass erzeugen und an die blutigen Jahrzehnte erinnern.
Ganz verschwanden sie nie und jetzt sind sie wieder aktueller denn je. „Fuck you! Fuck your Pizza! Brits out!“ – solche und ähnliche Texte fanden sich schon wenige Tage nach dem Attentat vom 07.März in den Straßen der katholischen Hochburgen rund um die britische Militärkaserne Massereene. Wer Nacht für Nacht diese Botschaften sprüht, ob es nur Jugendliche oder die militanten Gruppen selbst sind kann niemand sagen. Im Prinzip spielt die Urheberschaft auch keine Rolle, alleine die Tatsache dass Slogans wie „British bastards! Sinn Fein = traitor!“ entstehen können und maßnahmslos geduldet werden ist Anzeichen für das derzeitige Klima in der lokalen Bevölkerung. Nichts kann über die angespannte Lage hinwegtäuschen, keiner will zurück zum Bürgerkrieg, beide Seiten sind verzweifelt darum bemüht die Spirale von Rache und Gegengewalt zu verhindern. Dabei spielt die Politik und jede Stimme des Friedens gegen einen übermächtigen und unberechenbaren Gegener: die Eigendynamik, die sich zu entwickeln beginnt. Die protestantische Seite muss alles daran setzen die kampfbereiten Elemente in ihrem Lager zurück zu halten. Gelingt es den Loyalist-Einheiten der probritischen Paramilitärs Rache zu üben an den republikanischen Feinden, dann ist die Büchse der Pandora geöffnet, Politik wird sich mit persönlichen Interessen mischen, Mord wird mit Blutrache gesühnt werden und die Fronten der Geschichte tun sich zu neuen Schützengräben auf.
Auf katholischer Seite liegt es an Sinn Fein politischen Willen und Bereitschaft zum Kampf für den Frieden und gegen den Terror zu zeigen. Gerry Adams und Ex-IRA Mann Martin McGuiness haben die schwere aber notwendige Entscheidung zu treffen eine interne Jagd nach den Mördern der vergangenen Wochen zu starten, dann auch mit der Polizei zu kooperieren, oder sich weiterhin mit passiven Appellen an Vernunft untätig den gewaltbereiten Hardlinern in den eigenen Reihen zu stellen. Längst schon gilt Sinn Fein bei einem großen Teil der katholischen Bevölkerung nicht mehr als glaubwürdiger Interessenvertreter republikanischer Politik. Sie sei zu bequem geworden, Ruhe sich auf ihrer Position aus und genieße den Luxus der politischen Elite anstatt die Stimmen wahrzunehmen die immer lauter nach einem politischen Kurswechsel verlangten, so hört man es dieser Tage oft in Belfast und Umgebung. Gerade die jungen Nordiren verbinden Sinn Fein nicht mehr mit dem politischen Kampf gegen Fremdbeherrschung und für nationale Einheit sondern sehen in der Partei nur eine von vielen die es versäumt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme ernsthaft anzugehen und zu einer unattraktiven, bequemen Mainstreambewegung verkommen ist, deren Ideale nicht mehr jene aus Bürgerkriegszeiten sind. Fatalerweise hat besonders diese junge Generation der frühen 1990er Jahre kaum mehr Bezug zur Realität der alten Tage. IRA hat vielleicht bei denen die hautnah all die Gewalt und das Morden erlebten ihren Mythos verloren, die jungen Menschen erfassen diese Ablehnung nicht, sie kommen zur Ansicht dass der Krieg der republikanischen Straßenkämpfer der „nationalen Sache“ dienlicher war als die heutige Politik von Sinn Fein. Verklärt wird das Bild von den edlen Freiheitskämpfern und Revolutionären dabei häufig von einer alten, uneinsichtigen und weiterhin gewaltbereiten Kader der IRA, die längst nicht vergessen hat, die die politische Führung verteufelt für ihren Dialog mit dem Feind und der Kompromissbereitschaft in deren Umsetzung auch 2006 die Entwaffnung der IRA stattfinden sollte. Ein solcher Kniefall vor den britischen Besatzern und ihren nordirischen Marionetten kam einer ganzen Reihe kampferfahrener Terrorkommandeure dem Hochverrat gleich. Sinn Fein spucke auf die Gräber der Märtyrer, diese Ansicht vertreten bis heute nicht wenige Republikaner. Die alte IRA der 1970er und 1980er Jahre mag militärisch tot sein, in den Köpfen ihrer Unterstützer und Opfer lebt sie weiter. Ganz real gesichert wird der Fortbestand von Europas ältester terroristischer Vereinigung durch eine Reihe von Splittergruppen die sich während des Friedensprozesses von Sinn Fein und der offiziellen IRA lösten und schworen den Kampf fortzusetzen bis der letzte britische Soldat die Insel verlassen hat.
Ratlos nahm die Politik diese verhängnisvolle Entwicklung der 90er Jahre hin, beteuerte stets es handle sich um eine winzige Minderheit die bedeutungslos für den Friedensprozess sei, diesen Gruppen fehle die gesellschaftliche Unterstützung und die materielle Ausrüstung. All diejenigen die die Gefahr die von der RealIRA und der CIRA ausgeht totschweigen wollten und den Frieden herbeibeteten anstatt anzusprechen was viele beschäftigt werden jetzt eines besseren belehrt. Kein überzeugter Soldat legt mit Begeisterung Uniform und Waffe nieder, vertraut blind der Politik ohne eine Absicherung. IRAs Führung konnte vor wenigen Jahren nicht sicher sein ob sie sich mit der Auflösung ihrer Waffenlager nicht einfach nur der protestantischen Seite ergibt und hilflos ausliefert. Deren Gewehre, Granaten und Bomben sammelte man nie offiziell ein, sie fanden Verwendung im Drogenkrieg der paramilitärischen Banden oder lagern weiter in den Kellern der loyalistischen Milizen.
Insider behaupten ein beachtlicher Teil des IRA Arsenals sei vor der Entwaffnung versteckt worden, vergraben in den Gärten, auf Farmland und eingeschlossen in Schränken und Kammern treuer Kämpfer.
Nun ist die jüngste Generation irischer Terroristen anscheinend gerüstet und motiviert genug den Krieg zu starten der für Nordirland einen schweren Rückschlag bedeuten würde.
Während in Belfast, Londonderry und in anderen Städten tausende Iren demonstrieren und die Toten der jüngsten Attentate betrauern rekrutieren die Militanten im Internet, durch familiäre Kontakte und in den sozialschwachen Distrikten des Nordens fleißig weiter. Auf Youtube kursieren dutzende Videos in denen angebliche Übergriffe der mehrheitlich protestantischen Polizei auf katholische Demonstranten und Jugendliche zu sehen sind. Es werden Propagandafilme und Schriften verbreitet in denen der vermeintliche immense britische Einfluss auf Irland im neuen Jahrtausend angeprangert wird. Immer wieder muss die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte herhalten um Feindbilder wieder zu beleben. Es sollte nicht verwundern dass kurz nach dem Polizistenmord u.a. ein 17jähriger Verdächtiger festgenommen wurde. Jung, geblendet vom Heldenmythos der IRA, angestachelt von oftmals blutsverwandten ehemaligen Guerillas, bestätigt durch die allgemeine Stimmung in der Gesellschaft – das ist die jüngste Riege der IRA-Kämpfer. Wenn es den Menschen von Ulstern nicht gelingt der neuen Terrorwelle ihre zerstörerische Kraft zu nehmen, wenn es keine klare Absage an jene gibt die die alten Zustände zurück wünschen, dann droht eine Situation die untragbar wird für Nordirland und Europa im Allgemeinen.

Großbritannien ist militärisch eingebunden im Irak und in erster Linie in Afghanistan, ein weiterer Krisenherd vor der eigenen Haustür wäre katastrophal und wirtschaftlich untragbar, die IRA Dissidenten wissen dies nur zu gut. Zusammen mit der sich gravierend verschlechternden ökonomischen Situation und der frustrierten, kriegsjungfräulichen Jugend ergibt sich so ein Klima in dem die radikalsten Hardliner wieder zu den Waffen greifen.
Wie anderenorts auch siegt der Terror in Nordirland nie militärisch, er gewinnt keine Schlachten, er besiegt keine fremden Mächte, er bietet keine Antworten und Lösungen für die Probleme des Landes, er vergiftet Seelen Herzen, er siegt wenn er die Menschen verändert, wenn sie seinem Einfluss erliegen und das Abnormale normal wird.

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