Es ist ein verregneter Samstagabend: zwei britische Soldaten liegen tot am Boden, daneben verletzte Kameraden und Zivilisten. Es ist nicht Irak oder Afghanistan sondern es ist eine Straße vor einer Militärkaserne in Nordirland. Zwölf Jahre nachdem der letzte British Royal Army Soldat auf der Smaragdinsel starb schlugen Terroristen zu. Die Täter waren Mitglieder der Real IRA, einer radikalen Splittergruppe der bekannten Terrororganisation. Sie stoßen das Land wie aus dem Nichts an den Rand eines neuen Bürgerkrieges. Hoch in Europas Norden sollte die Welt Einsicht finden dass jahrhundertelanger Hass nicht nach einer Generation überwunden ist.
„A silent mouth is sweet to hear“ – dieses irische Sprichwort hat sich in der Vergangenheit als eines der obersten Gebote in der konfessionell gespaltenen Gesellschaft im nördlichen Teil der smaragdgrünen Insel etabliert. In der Zeit der „Troubles“, der politischen Unruhen seit Beginn des Bürgerkrieges durchzog dieses inoffizielle Gesetz des Schweigens den Alltag der meisten Nord-Iren. Mord, Rache, Gewalt und Gegengewalt verliefen sich über die Jahrzehnte in eine nicht enden wollende Spirale des Terrors, Leids und des Hasses. Kaum jemand konnte sich der Dynamik des Konfliktes, den die einen als politisch, die anderen als religiös-historisch sehen, entziehen, kaum jemand der nicht in irgendeiner Form Opfer wurde oder in der eigenen Familie zu beklagen hatte.
Hoch im europäischen Norden spielte sich seit den 1970er Jahren ein mörderisches Chaos ab das man so sonst nur aus dem Nahen Osten, Afrika oder Südamerika kannte. Für die meisten Europäer unbegreiflich war neben den Dimensionen des Terrors von beiden Seiten besonders das Ausmaß des Hasses, der anscheinend beide Bevölkerungsgruppen Nordirland wie ein Virus infiziert hatte und nicht zu heilen schien.
Die Gründe zu begreifen weshalb sich Katholiken und Protestanten über einen solch langen Zeitraum bekämpften fiel den meisten Außenstehenden sehr schwer. Aus Sicht der Iren wollte man dem Rest der Welt auch nur selten begreiflich machen oder erklären was dort rund um Belfast vor sich ging, weshalb man Jahrhunderte nach der Aufklärung, in Zeiten moderner, freier Demokratien Wohnviertel durch Mauern und Stacheldraht teilen musste, weshalb Kinder auf ihrem Weg zur Schule vor wütenden Anwohnern geschützt werden mussten und warum Iren andere Iren durch Kugeln und Bomben töteten. „Wer es versteht, der braucht keine Erklärung, wer es nicht versteht, dem wird man es nie erklären können“, jenem Kredo folgten die verfeindeten Gruppen wenn es um die Außenwirkung ihres Kampfes, ihrer Revolution ging.
Eine bis dahin nicht gekannte Form von Terroranschlägen bildete sich als die wohl grausamste Waffe im nordirischen Konflikt heraus. Jene entsetzlichen Attentate denen im Laufe hunderte Zivilisten, Soldaten, Polizisten und Paramilitärs zum Opfer fielen, sorgten spätestens ab Mitte der 1980er Jahre, als die Gewalt von Nordirland auf die britische Insel überzuschwappen drohte, dass der Welt ein Kürzel aus drei Buchstaben zum Synonym für europäischen Terrorismus des 20.Jahrhunderts ins Gedächtnis gebrannt wurde: IRA. Gegründet als eine Art Bürgerwehr, hervorgegangen aus einer Bürgerrechtsbewegung die sich für ein freies, vereinigten Irland ohne britischen Einfluss einsetzte, wuchs aus einer anfänglich mehr politisch als militanten Gruppierung die wohl am meisten gefürchtete Terrororganisation neben der palästinensischen PLO und der libanesischen Hisbollah.
Ihr Kampf für ein Irland frei von britischer Besatzung stürzte das nordirische Ulster seit 1970 in eine beinahe drei Dekaden dauernde Krise, deren Gewalt von Seiten der IRA und der protestantischen Paramilitärs über 3000 Menschen das Leben kostete und Nordirland in ein militärisches Schlachtfeld verwandelten in dem ziviles Leben unerträglich wurde.
Erst 1998 gelang es den Konfliktparteien im Zuge des von Bill Clintons Administration erarbeiteten „Karfreitags-Abkommen“ einen Waffenstillstand einzuleiten und sich auf den Weg des Friedens zu bewegen. Bis sich dieser politische Sieg vollziehen konnte, hatte sich eine ganze Bevölkerung radikal verändert. Hass, Rachegelüste und ständige Angst wurden zum Alltag vieler Belfaster.
Nicht nur die jüngste Generation, die nichts anderes als den Konflikt, die Trennung von Wohnvierteln, den Bombenterror und die britischen Soldaten in den Straßen kannte, sondern fast alle Teile der Gesellschaft hatten die „Troubles“ dermaßen verinnerlicht dass es kaum noch möglich erschien Versöhnung und Vergebung eine Chance zu geben. Alte Feindbilder existierten auch nach dem Good-Friday-Agreement, Ängste vor neuer Gewalt wurden geschürt durch die Tatsache dass weder die protestantischen Terroristen noch IRA bereit war ihr Waffenarsenal aufzugeben. Die Militanten zogen sich in den Untergrund zurück, Sinn Fein tat sich als Sprecher der im Verborgenen weiter agierenden Irish Republican Army hervor, eine Entspannung zeichnete sich ab.
All die neuen Ansätze in Politik und Diplomatie, jede neue Verhandlungsrunde, jedes Händeschütteln und jeder noch so kleine Kompromiss musste als Zeichen für einen langersehnten Frieden herhalten. Der wirtschaftliche Aufschwung für die grüne Insel kam, bald sprach man vom „keltischen Tiger“, der mit einem solchen ökonomischen Boom nach vorne preschte dass die vergangenen blutigen Jahrzehnte fast vergessen schienen. Keiner sprach mehr von „konfessionellen Differenzen“, von „verfeindeten Volksgruppen“, das Wort „IRA“ schien aus dem Alltag verschwunden. Unter der Oberfläche aber brodelte es weiter, längst nicht alle hatten das Kriegsbeil begraben. Die frühen 1990er Jahre markieren den Beginn einer schrittweisen Einsicht der offiziellen IRA, mittlerweile bekannt als Provisional-IRA, den bewaffneten Kampf aufzugeben. Von ihren Jahrzehnte zuvor fast so revoluzzerartig vorgelegten Zielen konnten die republikanischen Militanten fast nichts erreichen. Unzählige ihrer Mitglieder verbüßten ewig lange Haftstrafen in irischen und britischen Gefängnissen, Phasen des Hungerstreiks, Anti-Terror-Einsätze der British Royal Army und Widerstand aus dem protestantischen Lager hatten der Organisation schwer zugesetzt, etliche IRA-Kämpfer starben und stiegen als Wandgemälde in den Straßen Belfasts zu glücklosen Märtyern der Revolution auf.
1994 verkündete die IRA Führung einen einseitigen, unbefristeten Waffenstillstand, als Bedingung stand nur die Forderung Sinn Fein in die politische Zukunft Nordirlands einzubeziehen.
Selbst wenn nach 1998 der größte Teil der IRA dem Friedensprozess zustimmte und einwilligte auf Gewalt zu verzichten, so stellt man doch bald fest dass die IRA selbst nicht verschwand, ihre Mitglieder trugen keine Uniformen mehr, sie patrouillierten nicht mehr nachts durch die Straßen, aber sie waren und blieben Mitglieder und Teil der Gesellschaft. Jeder wusste wer IRA-Kämpfer war, die Namen der ranghohen Kommandeure und Bombenbauer waren in ihren Heimatbezirken wohl bekannt. Das Netzwerk löste sich nicht, Kontakte und Strukturen blieben bestehen, teilweise wurden sie nur einem anderem Zweck dienlich: dem Aufbau eines irischen Mafiasystems, organisierte Kriminalität durch ehemalige republikanische Straßenkämpfer. Banküberfälle, Waffenhandel, Erpressung, die Einnahmequellen der verbliebenen IRA erstreckten sich über weite Bereiche illegaler Aktivitäten und brachten ihr den Ruf ein immer mehr zu einer Horde ständig betrunkener Schläger und Verbrecher zu werden.
Eine kleine radikale Minderheit jedoch verschrieb sich auch nach dem offiziellen Ende des bewaffneten Kampfes dem „Fight fort he revolution“. Uneinsichtige Hardliner und junge fanatische Rekruten spalteten sich 1997 bei einer Sitzung des IRA Zentralkomitees ab, formten eine Organisation die sich in Anlehnung an die als „schwächlich“ und „verräterisch“ klassifizierte Hauptorganisation „Real IRA“ (RIRA) nannte.
Sie schworen dem Terror nicht ab, akzeptierten keine Verhandlungen mit dem protestantischen Gegner und lehnten selbst Sinn Fein als politische Vertretung der republikanischen Bewegung Nordirlands ab. Schrittweise ließ die britische Regierung nach dem Good-Friday-Agreement Truppen aus Nordirland abziehen, die lokalen Polizeieinheiten übernahmen die Aufgaben der Soldaten und schafften es tatsächlich um die Jahrtausendwende eine neue Phase des Konfliktes ohne tägliche Gewalt und Anschläge einzuleiten. Von 30,000 britischen Soldaten zum Höhepunkt der „Troubles“, reduzierte sich die Truppenstärke inzwischen auf knapp 5,000 Mann, die nach Jahrzehnten des Konflikts Teil der nordirischen Gemeinde geworden zu sein, so jedenfalls präsentierte es London nur zu gern.
Zwei Leichen junger Männer Anfang Zwanzig, niedergestreckt mit über 60 Kugeln als sie gerade ihr Abendessen in Empfang nehmen wollten trügen dieses Bild nun seit Samstagabend. Patrick Azimkar und Mark Quinsey gehörten einer Einheit der British Royal Army an, die am Sonntag nach Afghanistan entsandt werden sollte. Wie so oft bestellten sich die jungen Männer bei einem Pizza-Kurierdienst ihr Abendessen. Die Pizzaboten erschienen am späten Abend, die Soldaten traten aus ihrer Kaserne Massereene in der nordirischen Grafschaft Antrim um ihr Essen anzunehmen. In diesem Augenblick stoppte ein Auto in kurzer Entfernung, mehrere maskierte Personen eröffneten das Feuer aus Maschinengewehren und fuhren danach in die Nacht davon. Innerhalb kurzer Zeit starben die beiden unbewaffneten Soldaten, zwei weitere sowie die beiden Pizzakuriere wurden teilweise schwer verletzt.
Kaum drang die Meldung des Attentats zu den Medien durch kamen die Spekulationen auf es könne sich nur um eine Aktion der militanten IRA Untergrundkämpfer handeln. Frieden ist seitdem kein Zustand mehr sondern nur noch die wage Hoffnung und der inständige Wunsch vieler Nordiren. Gewissheit kam erst am folgenden Tag als sich beim „Dublin Sunday Tribune“ eine Person telefonisch meldete und sich über ein Codewort als Sprecher der Real IRA zu erkennen gab. Man übernehme die volle Verantwortung und entschuldige sich bei niemandem, so das Statement der Terrorgruppe.
Niemand hatte es gewagt in den letzten Monaten offen auszusprechen was viele dachten. Lange schon spürte man in Nordirland dass es unter der Oberfläche brodelte, etwas braute sich zusammen, eine Spannung wie seit Jahren nicht mehr hatte sich unter der Oberfläche der friedlichen Lage aufgebaut. Polizeichef Hugh Orde brach als einer der ersten das Schweigen und warnte schon vor Wochen die Gefahr eines terroristischen Anschlages sei hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. An Beweisen für diese Vermutung mangelt es nicht. Kurz vor dem Angriff am Samstagabend fand die Polizei ein abgestelltes, mit Sprengstoff präpariertes Auto auf einem Feldweg nahe einer Polizeistation. Kein Zweifel dass diese Autobombe von der Stärke der Omagh-Bombe (1998 tötete die RIRA in Omagh 29 Menschen und verletzte über 200 weitere mit einer 500Pfund Autobombe), für einen Anschlag gegen Nordirlands Sicherheitskräfte benutzt werden sollte. Mehrere Vorfälle in den letzten 12 Monaten bei denen Polizisten verletzt wurden weisen ebenfalls auf eine neue, wiedererstarkte Militantenszene hin. Ganz offiziell willigte die IRA Vertretung durch Sinn Fein und ihren Vorsitzenden Gerry Adams zwar im Juli 2005 einer Entwaffnung ein, die im September durchgeführte und vom kanadischen General de Chastelain überwachte Auflösung der Waffen- und Munitionslager allerdings rief bei den meisten Beobachtern, besonders bei Kritikern aus dem protestantischen Lagern Skepsis hervor. Ließen sich die alten Hardliner tatsächlich so leicht ihr Kriegsgerät nehmen? Alle IRA seien aufgefordert worden den Kampf zu beenden und einen „alternativen Weg zu suchen der britische Herrschaft (über Irland) ein Ende zu bereiten“. Misstrauen und Hass sitzen bei den verhärteten Fronten des Konflikts so tief dass niemand ernsthaft glauben konnte alle Waffenkammern, alle Bombenwerkstätten der IRA seien geräumt, die Gruppe sei von nun an unbewaffnet und friedlich. Schon Jahre vorher, seit Ende der 1990er Jahre hat sich die RIRA, heute angeführt vom 54jährigen Seamus McGrane, ehemaligem Mitglied der Provisional IRA und kompromissloser Anhänger eines republikanisches Sieges über die verhassten Briten. Sein Vorgänger, der RIRA Gründer Mickey McEvitt verbüßt derzeit eine 20jährige Haftstrafe wegen terroristischer Aktivitäten.
Extrem diszipliniert, äußert brutal und sehr entschlossen – so beschreiben britische und irische Geheimdienstquellen die heute noch aktiven Reste der IRA-Hardliner. Nicht mehr als über 400 Kämpfer und knapp 1000 Unterstützer und Helfer soll die RIRA im Jahr 2009 verfügen. Ihre Ablehnung der britischen Besatzung und vor allem der politisches Zusammenarbeit mit der protestantischen DUP des ehemaligen „First Ministers“ Ian Paisley hat sie über die Jahre nicht abgelegt, im Gegenteil. Mehr denn je, das berichten IRA-Kenner und Aussteiger aus der Organisation, sei man interessiert daran den bewaffneten Kampf wieder zu beleben. Grund dafür sei neben den wirtschaftlichen Problemen die inzwischen wieder weite Teile Irlands heimsuchen, vor allem eine neue Generation von Republikanern. Junge katholische Iren aus den IRA-Hochburgen Derry, Lurgan, Armagh, Creggan und West-Belfast empfinden seit Jahren die verbliebene britische Truppenpräsenz, die protestantisch dominierte Politik Nordirlands und unehrenhaft diktierte Entwaffnung der IRA als Gräuel und Schande für das republikanische Irland. Einige von ihnen wirkten als Kriminellen in jüngster Zeit am Rande des noch immer bestehenden IRA-Netzwerkes und sehen jetzt ihre Chance in den politisch-motivierten Kampf der Vorväter einzusteigen. Beunruhigen sollte die irische Polizei und die Regierung die Tatsache dass man von Seiten der Real IRA wohl das Gefühl hat, stark genug zu sein um eine Eskalation des eigentlich beigelegten Konflikts zu riskieren. Teilweise erfolgreich starten Elemente der IRA seit 2005 mehrere Versuche Waffen und Militärtechnik aus dem Ausland zu kaufen und nach Irland zu schmuggeln. Aus Frankreich versuchten Real IRA Mittelsmänner 2006 nicht nur Sturmgewehre, Handgranaten und Sprengstoff zu beschaffen, sondern auch SAM-7 Luftabwehrraketen, Panzerfäuste und hochmoderne Fernzünder für Bomben. Laut Analyse des britischen MI5 erschwert besonders die Struktur der Real IRA den Geheimdiensten die Arbeit. Anders als bei den weitläufigen, hierarchig orientierten Vorgängern der PIRA organisiert sich die RIRA in kleinen Zellen, teilweise mit sehr losen Strukturen und Befehlsketten die schwer zu erfassen sind. Hauptziel der Gruppe sei es eine Infiltration von außen, ein Einschleusen von Informanten, etwas was der IRA Ende der 1980er Jahre fast das Genick brach, zu verhindern. Weitaus mehr noch als die alte Riege der Militanten müssen die heutigen IRA-Terroristen auf ein extrem loyales Unterstützernetzwerk, eine so genannte „homebase“ zurückgreifen können die es ihnen ermöglicht innerhalb bestimmter Gebiete aktiv zu sein, ohne die Aufmerksamkeit der lokalen Polizeieinheiten auf sich zu ziehen.
Nordirland wird eingeholt von einem Problem der Vergangenheit dass lange nicht bewältigt wurde. „Viele Leute haben unter der britischen Besatzung gelitten“, so Sinn Fein als Zusatz in ihrer Verurteilung des Attentats von Samstagnacht. Einige haben wohl noch lange nicht vergeben und vergessen was über Jahrzehnte Schicksal ihrer Familie und Freunde war. Jeder kennt die alten Kader der IRA, wenn sie in den Pubs von Belfast sitzen, trinken und sich prügeln, jeder weiß um den Rang der IRA-Größen die wöchentlich den Rugby-Turnieren beiwohnen. Die Irish Republican Army verschwand nie aus der Gesellschaft, sie verschwand auch nie aus den Köpfen. Wer sie damals als Helden, Patrioten und Kämpfer für Ehre, Vaterland und Kirche feierte, kann sie heute wohl kaum zu Mördern und Terroristen verklären. Es fällt vielen Nordiren schwer sich einzugestehen dass vieles falsch und schrecklich war was als Freiheitskampf gebrandmarkt wurde. Terror, Bomben und Kugeln konnten nicht die Antwort sein auf einen Streit der Jahrhunderte zurückreicht. Die Akzeptanz, das Interesse an den „anderen“ Iren, denen die hinter den Mauern, dem Stacheldraht und den Straßensperren lebten, konnte nie ganz die Rachegefühle und besonders nicht das ständig präsente, eingemeißelte Misstrauen überwinden. Als aus dieser Hoffnung endlich Realität wuchs verklärten sie einige zu einer paradiesischen Situation die nicht das widerspiegelte was viele Iren noch immer empfinden. Der Tod der beiden britischen Soldaten riss die realitätsfremden Träumer aus ihrem Schlaf. Plötzlich entstehen wieder die politischen Lager, die Bilder von Freund und Feind, die alten Konfliktlinien erscheinen wieder als seien sie nie ausradiert, nur übermalt worden.
Diejenigen die die jüngsten Ereignisse am härtesten treffen sind die Führer der republikanischen Politik, Gerry Adams und Martin Mc Guinness. Stimmen werden in den Medien laut dass es in Nordirland ein Hauptproblem gebe das von niemandem offen ausgesprochen werde: Sinn Fein. Es seien Männer aus ihren Reihen die nun wieder zu Terror und Krieg zurückwollen. Von protestantischer Seite weiß man die Verantwortung direkt auf die Partei der republikanischen Katholiken zu verweisen. Bei den Täter vom 07.März 2009 müsse es sich um ausgebildete Terroristen gehandelt haben, die ihr Handwerk nur in der IRA gelernt haben könnten. Deshalb sei es auch die IRA sprich der politische Ziehvater und spöttisch als „Reha-Anstalt für Terroristen“ bezeichnete Sinn Fein, die nun in ihren eigenen Reihen die Mörder ausfindig zu machen habe. Obwohl Sinn Fein offen den Anschlag verurteilte und forderte die Täter zu fassen werten viele Nordiren diesen Appell als Eingeständnis der Schwäche und Zeichen dafür dass eine Partei das Land mitreagiere die weiterhin ein Sammelbecken für Terroristen ist und sich nicht vollkommen vom bewaffneten Kampf losgesagt hat. Macht Sinn Fein die Real IRA-Killer nicht ausfindig steht ihr ein harter politischer Kampf bevor für den sie nicht gerüstet ist. Kontrolle hat die Partei über die Dissidenten der RIRA noch nie gehabt, aber Kontakte bestehen, Personen kennen andere Personen und es ist sehr wohl möglich die Täterschaft zu ermitteln. Tut die Sinn Fein dies nicht, wird öffentlich angeprangert werden ihr fehle der politische Wille zum Kampf gegen Terror und für ein friedliches Nordirland. Gelingt es Gerry Adams und den anderen Führern der Republikaner den harten Kern der Militanten aufzuspüren riskiert sie einen Bruch mit einem Teil der Hardliner, zudem würden im Verfahren eventuell unangenehme Schnittstellen zwischen Partei und terroristischer Bande aufgedeckt.
Die Frage die im Moment Nordirland beschäftigen dürfte ist: beginnt „es“ wieder? Es, das ist all das was Jahrzehnte lang wie ein Fluch über der grünen Insel zu hängen schien, das sind Morde, Racheaktionen, Vergeltung mit Blut, Gewalt und Gegengewalt, das sind Militäreinsätze und Anschläge, und vor allem ist es die Lebenssituation der Zivilisten. Kehrt man jetzt wieder zurück zu geteilten Städten, zu Sicherheitszonen und Straßenblocks? Kein Mensch zwischen Derry und Newry wünscht sich diese Zustände zurück, aber die Gefahr besteht. Tief im Innern sträuben sich viele Republikaner mit der Polizei zusammen zu arbeiten, uraltes Misstrauen bricht hervor und ebnet den Weg zu einer erneuten Eskalation. Großbritanniens Premier Brown gibt sich zuversichtlich, zusammen mit seinem irischen Kollegen und dem Polizeichef Nordirlands verkündete er man werde die Mörder fassen, man werde Rechtsstaatlichkeit walten lassen wo Terror und Unrecht zuschlugen. Angeblich hat man bereits einen der Soldatenmörder identifiziert, er soll ein Kommandeur der Süd-Derry-Brigade der Real IRA sein. Vielleicht führt die Jagd sogar ziemlich schnell zum Erfolg, aber der Brand wurde dann schon längst gelegt. Belfasts Politiker sind bemüht zu fordern es dürfe keine Racheaktionen geben, um keinen Preis dürfe man zur Vergangenheit zurück. Diese Rufe werden mehrheitlich erhört werden, unwahrscheinlich hoch ist jedoch die Chance dass ihr Echo der Knall von Bomben und Gewehrfeuer sein wird.
Noch ist die Zahl derjenigen, die bereit wären wieder zu kämpfen, gering, die Terrorzellen sind isolierte Fanatiker die der Funken am Pulverfass sein wollen. Aber die Schatten der Vergangenheit hängen wie ein Damoklesschwert über dem Land. „Wir starren in den Abgrund“, sagte die Parlamentsabgeordnete Dolores Kelly gestern Abend. Dieser Abgrund scheint heute näher denn je, ein Schritt könnte der Schritt zu viel sein.
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