Wednesday, September 9, 2009

Erst Irak, dann Afghanistan - der britische Journalist Stephen Farrell wurde erneut entführt


Eine nächtliche Befreiungsaktion amerikanischer und britischer Spezialeinheiten befreite den britischen New York Times-Journalisten Stephen Farrell im nordafghanischen Kunduz. Sein afghanischer Dolmetscher, der bis August in Deutschland lebte, kam dabei neben einem britischen Soldaten ums Leben. Auch auf Seiten der Entführer gab es Tote.

Taliban hatten ihn am vergangenen Samstag verschleppt als er das "Nachbeben" des NATO-Luftangriffs auf zwei entführte Tanklaster untersuchen wollte. Der lokale Kunduz-Kommandeur Mullah Salam sei verantwortlich hieß es. Die NYT hatte eine Nachrichtensperre über den Fall verhängt um das Leben des Mitarbeiters nicht zu riskieren.

Der folgende Text entstand in den vergangenen Tagen, wurde jedoch auf Rücksichtnahme auf Stephen Farrells Situation noch nicht veröffentlicht:
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Ein britischer Journalist wollte den Hergang und die Folgen des NATO-Luftangriffs im afghanischen Kundus untersuchen, und wurde Opfer einer Entführung. Zum ersten Mal wurde damit in der Sicherheitszone der deutschen ISAF-Truppen ein westlicher Journalist von den Taliban verschleppt. Dessen Arbeitgeber, die New York Times, will die Medien Stillschweigen bewahren. Die Geschichte tragisch, denn es handelt sich um einen erfahrenen Kriegskorrespondenten und dies ist bereits die zweite Geiselnahme seiner Karriere.

Im Frühjahr 2004 wurde der Brite Stephen Farrell Reporter der “Times”, zum ersten Mal Opfer einer Entführung.
Zusammen mit einer freischaffenden US-Journalistin war er von Jordanien unterwegs Richtung Bagdad. Bei der damaligen Rebellenhochburg Falludscha zerschossen bewaffnete Angreifer die Reifen ihres Wagen und verschleppten Farrell und seine Kollegin. Nachdem man ihn ausgeraubt hatte, so beschrieb Farrell später in einem CNN Interview, habe man ihn “zehn Stunden lang mit Fragen bombardiert.” Seine weibliche Begleitung wolle man verschonen, erklärten die Entführer, aber ihn werde man töten.
Der Chef der irakischen Entführergruppe sah es aufgrund von Farrells Glatze als erwiesen an, dass seine Geisel kein Zivilist sei. “Du bist Soldat, du hast kurze Haare, du bist von der CIA, du bist ein amerikanischer Spion”, zitiert Stephen Farrell später den Kidnapper. Ein älteres Foto auf dem der Journalist mit langen Haaren zu sehen ist, überzeugte die Aufständischen schließlich und nach Stunden der Ungewissheit und permantentem Beteuern ein “Sahafi” (arab. Journalist) zu sein, ließ man Stephen Farrell und seinen Begleitung frei.

Der Fall des britischen Reportes war eine der ersten Entführungen von westlichen Ausländern im Irak. Stephen Farrell überlebte seine kurze Geiselhaft im Gegensatz zu anderen Europäern wie Kenneth Bigley oder dem italienischen Fotografen Santoro, die noch im selben Jahr ermordet wurden.
Farrell war bereits 48 Stunden nach seiner Entführung wieder bei der Arbeit. Er verfasste einen Artikel über das Erlebte, berichtete später er habe beschlossen: “Wenn ich mich nicht wieder aufs Pferd schwinge, werde ich es nie wieder tun.”
Im April 2003 hatte er den Fall des Saddam-Regimes miterlebt und darüber berichtet. Fortan reiste er als Nahostkorrespondent der Times von Israel aus mehrfach in den Irak.

Dort wechselte er im Juli 2007 ins Bagdad-Büro der “New York Times”, verfasste zahlreiche Artikel und Videotagebüchern über den politischen Wiederaufbau, die irakischen Aufständischen und den einsetzenden Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten.
Nach der langjährigen Arbeit im Irak berichtete Farrell seit August 2009 über die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan und die immer gravierendere Sicherheitslage.
Auf dem “At War”-Blog der NYT informierte er fast täglich aus Kabul über aktuelle Ereignisse.

Als es am vergangenen Freitag zum wahrscheinlich schwersten Luftangriff der NATO gegen die Taliban im Norden Afghanistan kam, fuhr Stephen Farrell nach Kundus um direkt vor Ort zu berichten. Er schrieb, “Kundus war einst ruhig, aber weite Teile fielen in jüngster Zeit unter die Kontrolle der Aufständischen.” Trotz dieser Erkenntnis zog es ihn in den Unruhe-Distrikt Char Darah um mit Dorfbewohnern von Omarkhel über das ISAF-Bombardement zu sprechen.

Am Samstag dann die Meldung, ein britischer Journalist sei in Kundus von den Taliban verschleppt worden. “Dem Journalist und seinem Übersetzer wurden von den Aufständischen die Augen verbunden”, berichtete der Provinzgouverneur Mohammed Omar, “man hat sie zu einem unbekannten Ort gebracht.” Afghanische Sicherheitskräfte starteten eine Suchaktion, gefunden werden konnte bislang nur das zurückgelassene Fahrzeug.

Die New York Times hüllt sich in Schweigen, es gibt keine offizielle Bestätigung dass es sich bei dem entführten Reporter um John Stephen Farrell handelt. Es scheint als wolle man die gleiche Vorgehensweise einhalten wie im Fall von David Rohde. Der amerikanische Mitarbeiter der NYT war im November 2008 von Taliban des Haqqani-Netzwerkes in Ost-Afghanistan entführt und in die pakistanischen Stammesgebiete gebracht worden. In Zusammenarbeit mit mehreren Medienvertretern wurde Stillschweigen über das Schicksal Rohdes bewahrt. Sogar das Online-Lexikon Wikipedia änderte auf Bitte der New York Times Redaktion den Eintrag über den entführten Journalisten. Man wollte Rohdes Leben nicht unnötig in Gefahr bringen, hieß es, und habe deshalb öffentliches Interesse vermeiden wollen.
David Rohdes konnte sich im Juni selbst aus der Taliban-Haft befreien und befindet sich seitdem in Sicherheit.

Stephen Farrells zweite Entführung in seiner Karriere als Kriegsreporter dauert fast eine Woche an. Damit befindet sich der Brite schon wesentlich in der Gewalt der Taliban von Kundus als in den Händen der Rebellen von Falludscha vor fünf Jahren. Gefragt nach seinen damaligen Erfahrungen und der psychologischen Nachwirkung, sagte Farrell, er habe das Gefühl gehabt durch Antworten und Aussagen eine gewisse Kontrolle ausüben zu können. “Ich sage jedoch nicht dass ich möchte dass es wieder passiert.”

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