Sunday, September 6, 2009

Der Fall "Arctic Sea"


Ein 98m langer Holzfrachter mit einer Maximalgeschwindigkeit von 23km/h verschwindet vor der skandinavischen Küste, taucht erst Wochen später vor Westafrika wieder auf, angeblich entführt von estnischen Piraten die der russischen Mafia nahestehen.
Die Geschichte der “Arctic Sea” ist der Stoff für Gerüchte, Verschwörungstheorien und Spionage-Romane. Was hatte das Schiff tatsächlich geladen? Wurde es tatsächlich entführt oder deckten westliche Geheimdienste einen illegalen Waffenschmuggel auf?


Es beginnt Ende Juli im finnischen Jakobstad. Holz im Wert von 1,26 Millionen Euro wird auf den Frachter, der unter maltesischer Flagge fährt, verladen. 15 Crew-Mitglieder machen sich auf den geplanten Weg die Ware von Finnland an den algerischen Hafen Béjaia zu bringen.
Was dann geschah weiß niemand so genau. Irgendwann am 24.Juli 2009 befand sich die “Arctic Sea” zwischen Ötland und Gotland, als angeblich unbekannte Entführer das Schiff kaperten. Zunächst kam keine Meldung über einen Piratenangriff, und die Rederei wurde erst aufmerksam als der Frachter nicht wie erwartet Anfang August in Algerien ankam. Der Kontakt zur Besatzung war abgebrochen, es gab weder Hinweise auf Piraterie noch ein mögliches Unglück.

Die britische Küstenwache lokalisierte das Schiff zuletzt am 28.Juli in der Straße von Dover. Bis zum 30.Juli sendete die “Arctic Sea” weiter das automatische Ortungssignal. Mittlerweile wurde bestätigt dass die schwedischen Behörden Telefonkontakt zu einem Crew-Mitglied hatte, jedoch keine weiteren Informationen darüber preisgab. Bei Brest in Frankreich tauchte das Schiff auf einem Radarbild auf, bevor es schließlich das letzte Mal von einem Flugzeug der portugiesischen Küstenwache geortet wurde.
Am 03.August schließlich erhielt Interpol von der Rederei den Hinweis auf eine Entführung, woraufhin eine Suchaktion im westlichen Mittelmeerraum gestartet wurde. Kurioserweise gab es keinerlei Lösegeldforderungen, nichts was für eine gewöhnliche Kaperung sprach. Schon kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls spekulierten einige Stimmen über eine mögliche Entführung durch die Crew selbst. In Wahrheit hätte die “Arctic Sea” nicht nur Holz, sondern auch Drogen und Waffen geladen gehabt.

Es dauerte fast zwei Wochen bis der Frachter am 14.August nach seiner Geisterfahrt wieder auftauchte, vor den Kapverdischen Inseln. Die russische Marine setzte sich in Bewegung, erst drei Tage später jedoch wollte man bestätigen die “Arctic Sea” gefunden zu haben. Russland´s NATO-Botschaft erklärte man habe den Medien tagelang falsche Informationen geliefert um nicht die wahren Aktivitäten der russischen Suchmannschaften preiszugeben.

Quellen aus Brüssel und Moskau meldeten unterdes die zuständigen EU-Behörden hätten schon sehr viel länger gewusst wo sich das Schiff befindet und welchen Kurs es eingenommen hatte.
Alle 15 Crewmitglieder konnten unverletzt in Sicherheit gebracht werden, am 18.August bestätigte das russische Außenministerium zudem dass man acht Piraten festgenommen habe, darunter zwei russische Staatsbürger, ein Este und zwei Letten.
11 der 15 Crew-Mitglieder, inklusiv des Kapitäns wurden in Untersuchungshaft verhört. Keiner der an Bord anwesenden Personen ist es erlaubt über die Ereignisse zu sprechen, unter Androhung von sieben Jahren Haftstrafe in Russland. "Nicht verdächtiges wurde gefunden", verkündete Russlands Außenministerium am 25.August nach Durchsuchung des Schiffes. Der Chef-Ermittler Alexander Bastrykin hingegen erklärte es sei möglich dass die "Arctic Sea" nicht nur Holz geladen hatte. Eine illegale Lieferung sei denkbar.

Der Fall wirft dutzende Fragen auf: Wieso schickt Russland eine größere Marine-Suchmannschaft durch das Mittelmeer als für das somalische Piratenproblem aufgewendet wird? Warum dieser Aufwand für 1,26Millionen Euro finnisches Holz?
Warum dürfen die Crew-Mitglieder nicht offen über das Erlebte sprechen? Wieso sprach der Kapitän davon sein Schiff sei “nordkoreanisch”?

Der Kreml schickte zwei große Militärtransportmaschinen auf die Kapverden, angeblich für den Heimtransport der Frachter-Besatzung. Einige von ihnen wurden sogar mehrere Tage in russischen Gefängnissen festgehalten, und das als angebliche Opfer einer Entführung. Es wird behauptet die Rederei habe eine Lösegeldforderung von 1,5 Millionen Euro erhalten, dies dementiert das Unternehmen. Lediglich eine russische Quelle zitiert das Versicherungsunternehmen welches angeblich die Zahlungsforderung von den Kidnappern erhalten haben will.
Ganz allgemein scheint der Aufwand den Russland um den Fall betreibt auf mehr hinzudeuten als einen simplen Fall der Piraterie in nordeuropäischen Gewässern.
Eine Spur führt nach Israel. Die Fracht der “Artic Sea” so heißt es aus journalistischen Quellen in Tel Aviv und Jerusalem, sei kein Holz gewesen sondern Rüstungsgut. Ehemalige russische Militärs sollen sich in die Dienste der Mafia gestellt haben und an einem Deal zwischen der russischen Unterwelt und dem Regime von Teheran beteiligt sein. Der Iran habe Waffen geordert, die er nicht von direkt von Moskau bekommen würde und habe sich deshalb an die kriminellen Elemente gewandt. Bei einem Reperatur-Zwischenstop der “Arctic Sea” im russischen Kaliningrad seien Raketen an Bord des Frachters gebracht worden. Der dortige Hafen gilt als einer der größten illegalen Umschlagplätze für Waffen und Militärausrüstung im europäisch-russischen Raum. Nach Auflösung der Sowjetunion verkauften die dortigen Ex-Generäle auch schweres Kriegsgerät an den Meistbietenden. Dadurch entstanden in Kaliningrad finanzstarke, mächtige Mafia-Strukturen die weiterhin am Milliardengeschäft des Waffenhandels beteiligt sind.

Glaubt man den von Jerusalem Post und Times zitierten Quellen, dann steckt hinter dem angeblichen Entführungsfall der “Arctic Sea” eine hochbrisante Waffenlieferung an die iranischen Mullahs.
Das Schiff sei von der russischen Mafia als Transporter für Raketen benutzt worden, habe jedoch den ehemaligen Kurs fortsetzen wollen. Von Nordafrika aus sollten die Waffen dann ihren Weg über Syrien in den Iran finden.
Dem zuvor kam angeblich der israelische Mossad. Ein Agententeam entführte den Frachter nachdem die Israelis den Waffendeal entdeckt hatten. So bot man Moskau eine ideale Möglichkeit alles nach einer gelungenen Piraten-Befreiung aussehen zu lassen und nicht das eigene Gesicht zu verlieren.

Für Russland wäre ein solcher Vorfall höchst peinlich und außenpolitisch äußerst problematisch. Einen Tag nach der Befreiung der “Arctic Sea” reiste Israels Präsident Perez nach Moskau, sprach mit Präsident Medwedew über die Beziehungen Russlands zum Iran, die jüngsten Waffenlieferungen in den Nahen Osten und wohl auch über die vermeintliche Frachter-Entführung.
Das kriminelle Milieu verärgert durch seine Geschäfte mit dem iranischen Regime die russische Führung, bislang konnte Moskau bestimmen welche Ausrüstung und welche Form von Rüstungsgut Richtung Iran geliefert wird. Sollten die Mullahs diesen lästigen Mittelweg der immer vom aktuellen diplomatischen Weltklima abhängt umgangen haben, dürfte Russland ab sofort jede Lieferung doppelt und dreifach bedenken.
Welche Waffen könnten Israel zu einem derart drastischen Schritt und Moskau zu einer so umfangreichen Aktion veranlasst haben? Gerüchte nennen die S-300. Dieses Luftabwehrsystem gehört zu den modernsten der Welt und ist der ganze Stolz der russischen Rüstungsindustrie. Stationiert auf fahrbaren Transportern kann dieses Waffensystem mit einem hochmodernen On-Board-Radar bis zu 100 Ziele gleichzeitig Orten und 12 feindliche Flugkörper zeitgleich bekämpfen. In den 1990er Jahren lieferte Russland bereits mehrere Versionen der S-300PMU I an den Iran, ein Luftabwehrsystem dass Kampfflugzeuge und feindliche Langstreckenraketen in bis zu 110km Entfernung bekämpfen kann.
Irans Regime ist in jüngster Zeit an den neusten Versionen der S-300 interessiert, Systeme mit denen im Ernstfall amerikanische oder israelische Kampfflugzeuge auf bis zu 200km zerstört werden können. Auch gegen Israels Langstreckenraketen und Amerikas Cruise Missiles würden die neuen S-300 einen nie gekannten Schutz liefern. Im und mittleren Osten bedeutet diese Waffe eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten Irans. Aus israelischer Sicht entsteht dadurch ein Patt. Der iranische Luftraum wäre gegen einen möglichen Angriff auf die Nuklearanlagen geschützt, Israel müsste mit eigenen Verlusten im Fall eines großangelegten Luftschlages rechnen.
Iran wäre nicht unverwundbar aber die israelische Luftwaffe müsste im schlimmsten Fall mit einem Verlust von 20% ihrer Maschinen rechnen. Militärexperten in Israel sind sich sicher: das Regime von Teheran will die S-300 um jeden Preis.
Bislang zögerte Russland mit der Lieferung des Systems. US-Präsident Obama und die israelische Führung drängten Moskau immer wieder dazu die S-300 nicht zu liefern. 2007 schlossen Iran und Russland Verträge über den Kauf weiterer Luftabwehr-Raketen. In Jerusalem und Washington beobachtet man diese Entwicklung seit Jahren mit größter Sorge. Es liegt in russischen Händen ob Iran sich effektiv gegen Angriffe auf sein Atomprogramm schützen kann oder nicht.
Möglicherweise setzte Teheran diesmal alles auf eine Karte und hoffte darauf niemand würde den alten russischen Frachter bemerken, der sich von Finnland aus auf den Weg nach Nordafrika gemacht hatte.

Natürlich rutscht Moskau durch diese Aktion in die Ecke der peinlichen Schlafmützen, die den eigenen Waffenmarkt nicht kontrollieren können und auf die Hilfe ausländischer Geheimdienste angewiesen sind. Für die iranische Führung ist der Fall der “Arctic Sea” schwerwiegender. Wer sich als Staat illegal Waffen beschaffen will, katapultiert sich diplomatisch in eine Eiszeit.

Nordkoreanische Schiffe mit Kurs auf die iranische Küste, ein Konvoi voller Waffen der vom Sudan Richtung Gaza unterwegs war, ein Passagierflugzeug mit einer Fracht für Hisbollah, das nördlich von Teheran am Boden zerschellte - die Liste der Peinlichkeiten für das Regime Ahmadinejad reißt nicht ab. Es wird eng für Teheran. Israels wachsame Augen und Ohren waren in den vergangenen Monaten effektiver denn je, das Regime hat innenpolitisch stark zu kämpfen und außenpolitisch spielt es wenig erfolgreich den persischen James-Bond, der sich immer öfter eine blutige Nase holt.

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