Inzwischen gilt international in der Szene der Terrorismus-Experten Pakistan inklusive der angrenzenden Gebiete im benachbarten Afghanistan, kurz „AfPak“ genannt, als die gefährlichste Region der Welt.
Seit dem Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan und der anschließenden Besatzung des Landes durch die NATO-Truppen, organisieren sich die Gotteskrieger vor allem in Pakistan, wohin sie vor dem US-Bombardement geflüchtet waren. Mittlerweile ist man sich bei den Geheimdiensten einig dass die Führung der Taliban-Bewegung zusammen mit der Al Qaida Spitze von pakistanischem Territorium heraus operiert und den Krieg gegen die US-Truppen und ihre NATO-Partner in Afghanistan organisiert. Sieben Jahre nach ihrem Sturz sind die Taliban heute stärker denn je, ihre Zahl steigt stetig, sie rekrutieren in den afghanischen Dörfern die immer noch verzweifelt auf den versprochenen, wirtschaftlichen Wiederaufbau warten, in den pakistanischen Flüchtlingslagern der kriegszerrütteten Stammesgebiete und in den Millionenslums von Karachi und Islamabad. Wie vor 30 Jahren im Dschihad gegen die Sowjetunion trainieren die islamischen Fundamentalisten ihre Kämpfer in Ausbildungslagern entlang der Grenze zu Afghanistan, schicken sie dann auf das afghanische Schlachtfeld im Heiligen Krieg gegen die ungläubigen Invasoren.
Diese Situation wird nicht nur für die US Truppen, sondern auch für die pakistanische Führung zur Bedrohung. Ein ganzer Staat droht ins Chaos zu verfallen, eine Atommacht wird von inneren Feinden bedroht, eine Provinz nach der anderen fällt in die Hände der Koranschüler. Erst führten die Taliban im Swat-Tal die Sharia ein, inzwischen expandieren sie von dort aus ihr Gedankengut in andere Regionen des Landes. Längst ist der Einfluss der Islamisten außerhalb der ohnehin gesetzlosen Stammesgebiete im Nordwesten angekommen, Terrorbrutstätten breiten sich über das gesamte Staatsgebiet aus, ein Netz aus Madrassas versorgt die Bewegung der Gotteskrieger mit immer neuen Fußsoldaten und Selbstmordbombern. Im Westen kritisiert man den Umgang der pakistanischen Führung mit den Taliban als Kniefall vor dem Terrorismus, einen unaufhaltsamen Siegeszug der Dschihadis. Bis jetzt griffen die USA nur durch Angriffe mit unbemannten Drohnen auf mutmaßliche Terroristen in das Geschehen ein. Jüngst entschloss man sich zudem zur Milliardenhilfe für Islamabad, um den Partner im „War on Terror“ zu stärken. Mehrere hochrangige Al Qaida Führer und Taliban-Kommandeure fielen im Laufe der letzten Jahre den US-Drohnenattacken zum Opfer, etliche überlebten verwundet. Was den Geheimdiensten bisher nicht gelang war die beiden meistgesuchten Staatsfeinde auszumachen. Osama Bin Laden und Mullah Mohammed Omar konnten weder durch die pakistanischen Militäreinsätze in der „Northwest Frontier“ Provinz noch durch die Satelliten- und Drohnenüberwachung der CIA ausfindig gemacht werden. Auch Al Qaida Vize Ayman al Zawahiri entging seinen amerikanischen Jägern seit 2006 wohl mehr als nur ein Mal.
Ende März nun entschloss sich die Regierung Obama eine neue „Most Wanted“-Liste herauszugeben mit der man versucht den terroristischen Elementen in Pakistan Herr zu werden. Drei Personen werden als meistgesuchte, gefährlichste Personen in Pakistan/Afghanistan definiert. Natürlich stehen weiterhin Bin Laden, Zawahiri und Taliban-Führer Mullah Omar oben auf der Terror-Fahnder-Liste, ihre Ergreifung wird allerdings wohl kaum durch noch höhere Kopfgelder (immerhin 50 Millionen Dollar für einen Hinweis zur Ergreifung von Osama Bin Mohammed Bin Awad Bin Laden) ermöglicht werden, sondern nur durch intensivere Geheimdienstarbeit und den meist besten Verbündeten – den Zufall.
Drei Männer allerdings dürfen sich neuerdings mit den Ehrentiteln „Most Wanted“ schmücken, auf ihre Köpfe sind ebenfalls Millionenbeträge ausgesetzt, ihre Bedeutung für den islamistischen Terrorismus in der Region ist nach Expertenmeinung heute höher denn je. Wer sind Pakistan´s Staatsfeinde Nr.1, 2 und 3? An dieser Stelle möchte ich die drei Personen vorstellen, die zu einer neuen Generation der Islamistenelite gehören. Ihre Aktivitäten beeinflussend entscheidend die Sicherheitslage nicht nur in Pakistan sondern auch in Afghanistan.
#1 Der Krieger ohne Gesicht
- Baitullah Mehsud
Nationalität: Pakistani (Mehsud Stamm, Süd-Waziristan)
Alter:36-37
Belohnung für Hinweis zur Ergreifung: US$ 5 Millionen
vermuteter Aufenthaltsort: Süd- oder Nord-Waziristan
Im Jahr 2008 tauchte auf der alljährlich erscheinenden Liste des TIME Magazine der „100 einflussreichsten Personen“ in der Kategorie „Führer und Revolutionäre“ erstmals der Name Baitullah Mehsud auf. Vor der Ermordung der pakistanischen Politikerin Benazir Bhutto am 27.Dezember 2007 durch einen Selbstmordattentäter kannte kaum jemand im Westen diesen Namen geschweige denn die Person Mehsud.
Aus Sicht der pakistanischen Politik und besonders für das Militär und den Geheimdienst ISI war Baitullah Mehsud schon lange ein Begriff und Grund für schlaflose Nächte. Spätestens seit den spektakulären Suizidanschlägen u.a. auf das Mariott Hotel in Islamabad und den Doppelanschlag auf die Munitionsfabrik der pakistanischen Armee in Wah trägt Mehsud den Titel des Staatsfeind Nr.1. Seine Person gilt als mysteriöser, aufstrebender Stern am Himmel des internationalen Terrorismus, die CIA glaubt inzwischen von ihm gehe eine größere Gefahr aus als von Osama Bin Laden.
Die Geschichte des heute wohl einflussreichsten Taliban-Führers beginnt in einem kleinen Dorf namens Landi Dhok in der Region Bannu, in den nordwestlichen Stammesgebieten, der sogenannten „Northwestern Frontier Province“. Dort kam Baitullah Mehsud Anfang der 1970er Jahre als einer von fünf Brüdern zur Welt. Ungewöhnlich für ein Mitglied des paschtunischen Mehsud-Stammes dessen Hochburg eigentlich im entfernten Süd-Waziristan liegt. Genau genommen gehört er zur Familie der Broomikhel-Klans, die dem Shabikhel-Zweiges des Mehsud-Stammes angehören. Was heute weltweit als die Waziristan-Provinzen bekannt ist, wurde erst in Kolonialzeiten durch die Briten und ihre Sicherheitspolitik in zwei separate Regionen aufgeteilt. Ursprünglich existierte nur ein Waziristan, beherrscht von zwei rivalisierenden Stämmen, den Mehsuds die die Mehrheit (ca.60%) der 720,000 Bewohner des Gebiete ausmachen, und den Waziris, deren Klans auf etwa 35% der Bevölkerung kommen.
Aufgewachsen ist Baitullah in einer archaischen Bergwelt die geprägt ist von ehr- und stolzorientierter Tradition, konservativer Islaminterpretation, Stammesfeden, uralter Gesetze und einer langen Tradition des militärischen Widerstandes gegen fremde Eindringlinge. In seiner Kindheit besuchte er keine reguläre Schule sondern erhielt seine Ausbildung in einer der unzähligen Madrassas, deren Zahl in Pakistan inzwischen unüberschaubar geworden ist. Von frühster Jugend an wurde sein Bild von Religion und Politik beeinflusst durch die Koranauslegung der Taliban im benachbarten Afghanistan, dass er als junger Mann öfter besuchte. Sharia, Blutrache und Dschihad dominieren das gesellschaftliche Bild in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion seit Jahrzehnten, sie entstanden aufgrund verschiedener weltpolitischer Geschehnisse, wie der Besatzung durch die britischen Kolonialherren, später dann durch den Einfall des Kommunismus, durch Bürgerkriege und jüngst den Krieg der NATO gegen die Taliban-Bewegung.
Anders als die islamistischen Führer in den nördlicheren Provinzen der Stammesgebiete war Baitullah Mehsud also von Anfang an ein „Talib“, ein Koranschüler, nahm niemals an einer regulären Schulausbildung teil und orientierte sich deshalb nur an Koran und Sunnah als Grundlage für sein Handeln. Die Dschihad-Verpflichtung führte bei ihm sehr früh dazu militärisches Training zu absolvieren, die ihn in eine Einheit des damaligen Mujaheddin-Führers Jalahuddin Haqqani brachte unter dem er den Umgang mit Schusswaffen, Mörsern und Granaten erlernte. Seit Ende der 1990er Jahre fungierte der Diabetiker Baitullah als Mitstreiter des Stammesführers Abdullah Mehsud, der oft als sein Bruder beschrieben wird, wofür jede Bestätigung fehlt. Abdullah Mehsud kämpfte zusammen mit Baitullah auf Seiten der Taliban gegen die Nordallianz, geriet nach dem 11.September in die Gefangenschaft von General Dostum und wurde an die USA ausgeliefert die ihn nach Guantanamo brachten von wo er allerdings 2004 entlassen wurde und nach Waziristan zurückkehrte.
Zu dieser Zeit marschierte die pakistanische Armee auf Druck der US Administration in die Stammesgebiete ein, versuchte gezielt Terrornester aufzuspüren und Taliban und Al Qaida zur Strecke zu bringen. Einer der Islamistenführer die dieser Kampagne zum Opfer fielen war der Kommandeur in Süd-Waziristan, Nek Mohammed, der im Juni 2004 durch eine amerikanische Rakete starb. Auf dessen Beerdigungsfeier kamen fünf der einflussreichsten Taliban-Führer Pakistans und Afghanistans zusammen, die auf Geheiß Mullah Omars den jungen Baitullah Mehsud zum Nachfolger Mohammeds und damit zum Taliban-Emir Süd-Waziristans ernannten. Mit diesem Vertrauensbeweis der obersten Führungsriege der Taliban begann der Aufstieg Mehsuds zum regionalen Machthaber und bald zum mächtigsten Kriegsherr der Stammesgebiete. Nur ein halbes Jahr später schon handelte er mit der pakistanischen Armee einen Pakt aus, der einen Rückzug der Truppen aus der Northwest-Frontier vorsah. Im Gegenzug habe sich Mehsud bereit erklärt, so hieß es, die Al Qaida Elemente in diesem Territorium auszuhändigen oder zumindest auszuweisen. Dies trat nie ein, wie man heute weiß. Unter seiner Führung gewannen die militanten Extremisten in Waziristan an Stärker, die ausländischen Kämpfer der Al Qaida, der usbekischen Islamischen Dschihad Union, der kashmirischen Mujaheddin und anderer Gruppen konnten ungehindert ihre Trainingslager in den Hügeln und Tälern der Provinz an der Grenze zu Afghanistan errichten und Kämpfer für den Dschihad gegen die NATO Truppen ausbilden. Baitullah Mehsud ging es bei seinen Deals mit der pakistanischen Führung, damals noch unter Präsident Musharraf hauptsächlich darum die Stämme Waziristans vor der Gewalt der pakistanischen Armee zu schützen und einen Rückzugsort für die Taliban zu schaffen. So baute er schrittweise seinen Einfluss in seinem Heimatgebiet und darüber hinaus nach Nord-Waziristan aus. Gute Kontakte zur Al Qaida dienten dazu rivalisierende Klans in der Region zu bekämpfen und die Dominanz Mehsuds auszubauen. Konkurrenten im eigenen Land zu bekämpfen erwies sich dabei als schwieriger als die Verhandlungen mit dem pakistanischen Militär. Mehr zufällig kam Baitullah Mehsud im Juli 2007 jene Armee zur Hilfe die er monatelang energisch bekämpft hatte. Sein größter Rivale, den er mehrfach als Doppelagent der CIA und des ISI bezeichnete, Abdullah Mehsud, starb in einem Schusswechsel mit pakistanischen Fallschirmjägern, die dessen Aufenthaltsort in der südlichen Provinz Belutschistan aufgespürten. Abdullah sprengte sich selbst mit einer Handgranate in die Luft und ebnete somit den Weg für Baitullah´s Aufstieg zum unangefochtenen Emir von Waziristan, dessen Macht von Monat zu Monat wuchs, in dem er Allianzen mit islamistischen Gruppen schloss die seine Großzügigkeit nutzten um Waziristan in ein Schulungszentrum für Mujaheddin zu verwandeln und im Gegenzug an der Seite seiner Stammeskrieger kämpften. Zum damaligen Zeitpunkt sollen bereits mehr als 8,000 Kämpfer unter Mehsud´s Kommando gestanden haben, die meisten davon Angehörige seines Stammes und verwandter Klans. Mittlerweile verfügt der Kriegsherr über einen eigenen Fuhrpark von 40-50 Toyota Pick-Ups, und einer Security-Einheit bestehend aus 18 Leibwächtern. Trotz aller Deals und Gespräche mit Islamabad setzte der Warlord seinen Dschihad gegen die pakistanische Regierung und deren Militär fort. Von einigen Quellen heißt es Baitullah Mehsud sei nur noch am Leben weil er gute Kontakte in die Ränge des Militärs habe, manche sprechen von einem Cousin, die ihn vor ernst gemeinten Einsätzen der Armee schützen. Ob an diesen Vermutungen etwas dran ist, bleibt zweifelhaft. Unstrittet ist dass es Stimmen aus dem pakistanischen Militär und Geheimdienst gibt die ihn als „guten Taliban“ ausweisen. Begründet wird dies mit der Behauptung Mehsud sei ein sehr rationaler, gesprächsbereiter Militanter, der klar definierte Ziele habe und als traditionsbewusster Stammesangehöriger Versprechen einhalte. Pakistanische Experten halten ihn zudem für weniger religiös fanatisch als andere Taliban-Führer und unterstellen ihm einen gewissen Machthunger der dafür sorge dass er strategisch seine Ziele verfolge und keine unüberlegten Handlungen befehle.
Tatsächlich orientierte sich Mehsud lange Zeit viel stärker in Richtung Afghanistan als gegen den pakistanischen Staat. Seine Begeisterung für den „Herrscher der Gläubigen“ Mullah Mohammed Omar soll immer schon größer gewesen sein als für bekannte pakistanische Dschihadgrößen. Zum Bruch kam es Mitte 2007 nach der Niederschlagung des Aufstandes in der Lal Masjid, der Roten Moschee in Islamabad. Über 100 Personen, die meisten davon islamistische Aktivisten starben damals nach dem harten Durchgreifen des pakistanischen Militärs.
Dieses hatte kurz danach, im August 2007 einen seiner beschämensten Momente zu verkraften, als Mehsuds Männer 247 Soldaten als Geiseln nahmen und zwei Monate festhielten. Internationale Medien lieferten damals erstmals Berichte über die Person Baitullah Mehsud und nahmen Kenntnis von seiner Rolle in der pakistanischen Militanten-Szene. Erst als Musharraf einwilligte 25 inhaftierte Islamisten freizulassen, darunter einige Selbstmordattentäter und Terrorausbilder, ließ Mehsud die Truppen frei und erklärte man werde die Angriffe auf Armeeeinheiten in Zukunft unterlassen. Im Westen hatten man da schon zur Kenntnis genommen dass die Taliban gewaltig an Stärke gewonnen hatten und ihr Einfluss in Pakistan unaufhaltsam stieg. NATO-Militärs nannten militärische Herausforderungen in Afghanistan nicht mehr ohne Pakistan und die dortigen Islamisten zu erwähnen. Die Geheimdienste lieferten ständig neue Erkenntnisse über gesuchte Terroristen die sich hinter der Grenzen in den Stammesgebieten, außerhalb der Reichweite der pakistanischen Regierung, aufhielten und von dort aus den Krieg in Afghanistan organisierten, Anschläge in Europa und den USA planten und hunderte Rekruten aus aller Welt ausbildeten. Drohnenangriffe erschienen als mögliche Lösung für das Problem, fanden seit 2007 regelmäßig und gehäuft statt. Wie nicht anders zu erwarten konzentrierte sich die CIA dabei auf Nord- und Süd-Waziristan, immerhin vermutete man dort neben den dutzenden Ausbildungslagern, Koranschulen und Dschihad-Kasernen, die meistgesuchten Al Qaida Führer Bin Laden und Al Zawahiri. Zu ihnen soll Baitullah Mehsud ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis haben, Zawahiri sogar mehrfach getroffen haben. Kurz nach dem Angriff der USA auf Afghanistan im Herbst und Winter 2001/02, nutzte Baitullah Mehsud sein bereits seit den 1990er Jahren bestehendes Schmugglernetzwerk dass er mit Maultierkolonnen betrieb, um arabische Kämpfer aus der Gefahrenzone u.a. rund um Tora Bora, in das pakistanische Grenzegebiet in Sicherheit zu bringen. Aus dieser Tätigkeit entwickelte sich ein Geschäft, was Baitullah nicht unerhebliche Einkünfte einbrachte, denn die ausländischen Dschihadhis waren auf lokale Schmuggler angewiesen.
Den Höhepunkt in der Karriere des meistgesuchten Taliban-Führers Mehsud bildet seine Ernennung zum obersten Militärführer der pakistanischen „Tehrik i-Taliban“, dem Dachverband aller Taliban-Gruppen im Land. Aus über 15 Provinzen Pakistans (aus den sieben Provinzen der Stammesgebiete, aus Swat, Bannu, Dera Ismail Khan, Kohistan, Tank, Malakand, etc) kamen im Dezember 2007 Taliban-Führer zusammen und ein 40köpfige Shura-Komitee entschied dass Baitullah Mehsud von nun an die Vereinigung der Einheiten und gemeinsame Aktivitäten koordinieren solle. Ein solcher Auftrag war für ihn eine Art Freipass den Einfluss der Taliban auf bisher kaum erreichte Regionen Pakistans auszudehnen. Ohne zu zögern erschienen auf Mehsuds Strategieplan die Talibanisierung des Swat-Tals und der Provinz Bajaur. Quasi als Oberkommandierender der Tehrik i-Taliban entschied er sich für eine Verlegung von Einheiten in diese Regionen um den Druck auf die dortigen pakistanischen Sicherheitskräfte zu erhöhen. Da er in Waziristan genug Erfahrung in Verhandlungen mit der Staatsführung und dem Militär gesammelt hatte wusste er dass eine schrittweise Expansion des Taliban-Einflusses möglich war, vielleicht sogar ohne militärische Gegenwehr. Unter seiner Führung wuchs die Tehrik i-Taliban zu einer Organisation bestehens aus 26 Gruppierungen, die offizielle alle Differenzen beiseite gelegt haben und sich einem gemeinsamen Ziel, der Einführung der Sharia in ganz Pakistan verschrieben haben.
Zum Jahreswechsel 2007/08 tauchte der mächtigste Islamist Pakistans dann endgültig in der internationalen Presse auf, als Hintermann des Attentats auf Benazir Bhutto. Immer wieder hatte Mehsud direkt oder über seine Sprecher verlauten lassen die pakistanische Oppositionsführerin sei nicht willkommen und müsse wissen dass sie sich im Visier der Mujaheddin befinde. Noch vor ihrer Rückkehr aus dem Exil, wenige Wochen vor den Wahlen im Januar 2008, drohte ihr Baitullah Mehsud mit dem Tod und nannte drei Gründe für ihre Ermordung: Sie, als Angehöriger der schiitischen Sekte, habe den Einsatz des Militärs beim Aufstand in der Roten Moschee gutgeheißen, sie sei eine Verbündete der USA und des Westens generell und sie habe vor den Wahlen angekündigt den Vater der pakistanischen Atombombe Dr.Qadir Khan auszuliefern (dessen Hausarrest und Verurteilung Mehsud als ungerechtfertigt betrachtet).
Nachdem Bhutto dann schließlich am 27.Dezember 2007 bei einer Parade in Rawalpindi durch ein Suizidkommando ermordet wurde waren die pakistanischen Geheimdienste sehr schnell einig der Strippenzieher sei Baitullah Mehsud, der für über 80% der Selbstmordanschläge in Pakistan (im Jahr 2007 insgesamt 60 Vorfälle) und mindestens 70% der Attentate in Afghanistan (laut UN Report 2007) verantwortlich sein soll. Sehr schnell dementierte Mehsud für den Anschlag verantwortlich zu sein, man greife keine „politischen Personen“ an. Angeblich habe Bhutto vor ihrer Reise nach Pakistan einen Brief vom Taliban-Führer aus Waziristan erhalten in dem er eindeutig erkläre er sei nicht ihr Feind und habe von ihr nichts befürchten. Nur eine Falle? ISI Agenten berichten es habe im Oktober 2007 schon Hinweise gegeben dass Al Qaida Kommandos in Karachi trainiert würden Benazir Bhutto zu ermorden, auf Order von Baitullah Mehsud.
Britische und amerikanische Zeitungen betitelten ihn nach dem Attentat in Rawalpindi „Pakistan´s Staatsfeind Nr.1“ oder „Pakistanischer Bin Laden“. Dabei zeichnet sich der medienscheue Islamistenführer weniger durch sein brutales Vorgehen aus, dass den getöteten afghanischen Taliban-Kommandeur Mullah Dadullah einst zum gefürchtetsten Gotteskrieger am Hindukusch machte, sondern vor allem durch seine immense Macht und seinen politischen Einfluss. Mehsud nutzte geschickt jeden Waffenstillstand, jede Ruhephase um in seinem Gebiet Aufzurüsten, sich neu zu organisieren und interne Rivalitäten zu beseitigen, aber auch angebliche Spione hinzurichten und die Verbindungen zur Al Qaida auszubauen um außerhalb der Stammesgebiete schlagkräftig auftreten zu können. Laut geheimdienstlicher Angaben verfügt das Netzwerk Baitullah Mehsuds über eine geschätzte Zahl von mindestens 10-14,000 Kämpfern, davon 6-7,000 professionell ausgebildete, hochmotivierte Mujaheddin. In seinen Lagern ausgebildete Trupps schickt er zur Unterstützung der afghanischen Kampfgenossen über die Grenze nach Kunar, Paktia und Helmand um dort den Kampf gegen die NATO anzuheizen. Gerade die Selbstmordattentate scheinen eine von Mehsud extrem häufig eingesetzte Waffe zu sein, die ihm in Pakistan den Ruf des „Vaters der Märytrer“ eingebracht hat. Junge Männer, meist Jugendliche aus den ärmlichen Provinzen und den Slums der Großstädte, aus den Flüchtlingslagern in den Stammesgebieten die nach den Militäreinsätzen der Armee entstanden und den Dörfern Südost-Afghanistan, finden ihren Weg direkt aus den Madrassas in die Terrorcamps Waziristans. Kommandeure Mehsuds schufen dort ein regelrechtes Schulungswesen des Dschihad. Gewöhnliche Fußsoldaten, spezielle Einsatztruppen für schwierigere Einsätze und Operationen außerhalb der definierten Schlachtfelder und natürlich die Selbstmordattentäter reifen in den Lagern heran, erhalten hier ein mehrwöchiges Training und den ideologischen Feinschliff. Tausende Attentäter stünden bereit, erklärte Mehsud in der Vergangenheit, um dem Dschihad in Afghanistan und Pakistan zum Sieg zu verhelfen. Im Namen Allahs und seiner Religion werde man die Söhne des Landes zu lebenden Bomben machen und Afghanistan zur Hölle für die Invasoren werden lassen. Die Mehrheit der großen Selbstmordattentate die Pakistan im Laufe der vergangenen zwei Jahre erschütterten, sowie verschiedenen spektakuläre Angriffe auf Polizeischulen, Kasernen, Militärkonvois und Außenposten der Armee befahl Baitullah Mehsud persönlich, sie sind Teil seiner Strategie durch die Ränge der Taliban-Bewegung aufzusteigen zur politisch einflussreichsten Person Pakistans. Ihm gehe es, so erklärte er noch Ende 2007 im bisher einzigen Interview mit einem Al Jazeera Reporter, nicht um die Atomwaffen des Staates sondern in erster Linie um den defensiven Dschihad gegen die angreifenden Truppen, pakistanische wie westliche. Zunächst sollen die einheimischen Soldaten ihre Waffen nicht mehr gegen die Mujaheddin richten, da dieser interne Krieg nur Amerika und seinen Interessen diene. Zusätzlich gehe es ihm um die Einführung der Sharia im gesamten pakistanischen Territorium, nicht nur im Norden (in Swat gelang es der Tehrik i-Taliban Anfang des Jahres durch einen Pakt mit der Regierung die Sharia zu installieren), Westen und dem zentralen Teil des Landes, sondern ebenfalls in den südlichen Provinzen Sindh und Punjab. Über Pakistan hinaus richte man sich vor allem auf Afghanistan, in dem man die „Mujaheddin-Brüder“ dort unterstützte. Zu diesem Zweck entsende er Selbstmordattentäter und Kämpfer, und biete den afghanischen Mujaheddin einen Rückzugsort.
Dass darunter nicht nur pakistanische sondern eine ganze Reihe ausländischer Gotteskrieger sind, bestreitet Mehsud nicht. Seine Zusammenarbeit mit dem Führer der usbekischen Islamic Jihad Union (IJU) Yuldashev seit 2003 ist schon länger bekannt, die Partnerschaft mit Al Qaida wird alleine schon durch die Präsenz der vielen Mitglieder des Netzwerkes deutlich die in Mehsuds Reich Süd-Waziristan durch amerikanische Drohneneinsätze starben. Wieder und wieder betonte Mehsud seine Loyalität gelte dem „Führer der Ummah, Mullah Omar“, Sheikh Osama Bin Laden und Ayman al Zawahiri seien dennoch willkommene „Brüder im Dschihad“. Sogar der irakische Al Qaida Emir Abu Mussab al Zarqawi sei Gast in seiner Region gewesen, bevor er in den Irak zog um dort den Dschihad zu führen.
Aus analytischer Sicht betrachtet handelt es sich bei Baitullah Mehsud um einen Al Qaida Alliierten, nicht aber um einen besonders großen Unterstützer Osama Bin Ladens. Mehsuds Strategie ist vornehmlich eine pakistanische und afghanische, trotz seiner wiederholten Wünsche „Washington und London“ direkt anzugreifen. Ohne seine lokalen Stärken aus den Augen zu verlieren gelang ihm die Expansion der Taliban in mindestens vier weitere Provinzen Pakistans und die Etablierung als der einflussreichste, gefährlichste Gegner der Regierung in Islamabad und der NATO in Afghanistan. Anders als Osama Bin Laden, Mullah Dadullah, Hakimullah und weitere Islamisten setzt Baitullah dabei nicht auf eine medienwirksame Strategie der Drohung und Propaganda. Hass auf die Regierung hege er nicht, behaupten Insider aus ISI-Kreisen, ihm gehe es um darum dass das pakistanische Militär sich komplett aus den Stammesangelegenheiten heraushalte und freiwillig die Sharia akzeptiere. Den ausländischen Truppen im Nachbarland hingegen müsse er mit dem Dschihad begegnen, das sehe Mehsud als religiöse Pflicht.
„Allah befiehlt den Muslimen an 480 Stellen im heiligen Koran den Dschihad zu praktizieren. Wer erfüllen nur Allahs Auftrag“, so erklärte es der Taliban-Führer vor knapp einem Jahr, „Nur der Dschihad kann der Welt Frieden bringen“. Absolut überzeugt von jener Tatsache entstand aus Mehsuds Gruppe die schlagkräftigste Taliban-Einheit im Afghanistan-Konflikt. Sollte er nicht in Kürze amerikanischen Raketen, pakistanischer Artillerie, einem Geheimdienst-Attentat oder dem Racheakt eines Feindes zum Opfer fallen könnte Baitullah Mehsud entscheidend mitwirken an der Zukunft der Atommacht Pakistan. In den Kreisen seiner Gegner fürchtet man seine strategische Intelligenz, seine Fähigkeit militärische Operationen detailliert zu planen und durch verlässliche Männer ausführen zu lassen. Lediglich Stammesrivalitäten wie sie seit Jahrhunderten in Waziristan stattfinden hinderten Mehsud daran sich Oberhaupt aller pakistanischen Taliban zu ernennen. Ende Februar 2009 überkamen die beiden größten Taliban-Gruppen in Waziristan ihre Streitigkeiten und schlossen sich zu einer Allianz zusammen. Ab sofort stehe eine 13köpfige Führungsriege dem Zusammenschluss aus der nordwazirischen Einheit unter Führung von Hafez Gul Bahadar und der südwazirischen Truppe von Mullah Nazir, vor. Beide Taliban-Führer schlossen sich Baitullah Mehsud´s Tehrik i-Taliban an, vereinbarten eine militärische Kooperation und regelmäßige Treffen. Differenzen zwischen den Militanten waren aufgekommen weil sowohl Bahadar als auch Nazir ihre Aktivitäten hauptsächlich auf Afghanistan konzentrieren wollten während die Tehrik i-Taliban, getrieben vor allem von Baitullah´s Stellvertreter Mullah Fazlullah, die Strategie für Pakistan verfolgte und Afghanistan nur als Nebenschauplatz sah.
Sollten die Taliban ihren Siegeszug durch die pakistanischen Provinzen fortsetzen dann wird sich auch die Situation in Pakistan für die NATO verändern. Massive Zunahme von Anschlägen, ein nicht aufzuhaltender Strom von neuen Kämpfern über die Grenze, immer mehr Selbstmordanschläge und die Übernahme ganzer Landesteile durch die Koranschüler wären die direkte Folge einer „Talibanisierung“ Afghanistans. Dieses Problem zu lösen in dem man nur den Pferdeliebhaber Baitullah Mehsud, der mehr und mehr zum ungeschlagenen Helden-Mythos in der Dschihad-Szene aufsteigt, wäre absurd zu glauben.
Vielleicht liegt es an der Tatsache dass es kaum Fotomaterial von ihm und wenig Informationen außerhalb des militanten Profils gibt, vielleicht aber auch an der faktischen Tatsache dass seine Organisation im Moment als die fähigste Terrorgruppe der Welt erscheint dass Baitullah Mehsud inzwischen „larger than life“ zu sein scheint. Von seinen Gegnern wird er zum absolut Bösen, zur Wurzel alles Übels, stilisiert, zu einem bedrohlichen Phantom das kaum zu fassen ist und zuschlagen kann wo und wann er will. Sein Ende wird kommen, das weiß er. Aber er weiß auch welches Schicksal den Amerikanern und ihren Verbündeten droht: „Sie werden ehrenlose verschwinden müssen oder sterben!“
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