Friday, February 6, 2009

Propagandaflut vom Hindukusch


Irak ist out, Afghanistan ist in – so kann man grob gesagt die Beobachtungen aus der Dschihad-Szene beschreiben. Es findet ein Wandel in der Propaganda und auf dem Schlachtfeld statt, junge Islamisten reisen aus ihren Heimatländern immer häufiger in die pakistanisch-afghanische Grenzregion, entscheiden sich gegen den „Kampf gegen die Kreuzritter“ im Irak und für den Dschihad gegen die NATO-Truppen in Afghanistan. Dass sich immer mehr Deutsche unter den afghanischen Mujaheddin befinden ist eine Entwicklung die man sorgfältig im Auge behalten sollte, an Anzeichen hierfür mangelt es nicht.



Noch kurz nach dem 11.September 2001 stand die „Islamic Jihad Union“ vor dem Aus. Die Organisation war gespalten, ihr mangelte es an Finanzquellen, an neuen Rekruten und Material, besonders aber mangelte es ihr an einem passenden Umfeld für den von ihr propagierten Heiligen Krieg.

Ursprünglich war die Gruppe Teil der Usbekischen Islamischen Befreiungsbewegung, die in Zentralasien aktiv und die dortigen „ungläubigen Regime“, allen voran die Diktatur von Islam Karimow in Tashkent bekämpfte sowieso ein extrem weitreichendes Netz des Opiumhandels aufbaute. Nach der Abspaltung der „Islamic Jihad Union“ von der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ die aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur Ausweitung und Ausführung des Dschihad zustande kam, orientierte sich die neue Organisation mehr und mehr Richtung Pakistan und Afghanistan, nutzte alte Kontakte zu den Veteranen des Sowjet-Krieges der 1980er Jahre um sich den nach 9/11 entmachteten Taliban anzugliedern. Unter Taliban Führer Mullah Mohammed Omar war der damalige Anführer der „Islamischen Bewegung Usbekistans“, Juma Namangani zum Kommandeur aller ausländischen Mujaheddin (al Muhajiroun) in Afghanistan ernannt worden. Trainingslager und Rekrutierungsbüros entstanden, die die Islamic Jihad Union nach ihrer Gründung praktisch übernahm. Namangani wurde im November 2001 bei Kämpfen gegen die Nordallianz getötet und sein Nachfolger Tohir Yuldashev müsste eine völlig zerrüttete Organisation übernehmen der es an Führungspersonal und Geld mangelte. Nachdem neue Spenden aus dem Iran und den arabischen Staaten gefunden waren zogen sich die Reste der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet zurück. Hier, in der Stadt Mirali in Nord-Waziristan entstand dann im März 2002 die heutige „Islamic Jihad Union“ unter der Führung von Abu Yayha (Najmiddin Jalolov), Kommandeur Ahmad und Abu Huzaifa – alle gebürtige Usbeken. Größtenteils stammten die Mitglieder dieser Gruppierung aus zentralasiatischen Staaten, dem Kaukasus, den muslimischen Teilen der Russischen Förderation aber auch aus der Türkei und den Kurdengebieten. Im Gegensatz zu den arabischen, afrikanischen, europäischen und südostasiatischen Al Qaida Kämpfern die sich nach dem Rückzug aus Afghanistan in die pakistanischen Metropolen Karachi und Islamabad flüchteten, blieben die Islamic Jihad Union Mujaheddin in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze, kämpften dort auch noch mehrere Monate gegen die Speerspitze der Nordallianz und US-Truppen.

Sehr schnell etablierten sich die Turkmenen, Usbeken, Tschetschenen, Kirgisen, Tartaren, Uiguren, Tadschiken und Türken die im Dienste der Islamic Jihad Union standen, in den paschtunischen Gebieten Waziristans. In Kooperation mit den aus Pakistan vorstoßenden Taliban und den Al Qaida Fundamentalisten errichtete man Basen entlang der afghanischen Grenze, schleuste über den Iran mehr und mehr Rekruten in die „Tribal Areas“ und trainierte die nächste Generation von Dschihadis.

Von Anfang an konzentrierte sich die Islamic Jihad Union auf die Rekrutierung von ethnisch türkisch und kaukasischen Islamisten. Der Kontakt zu arabischen Extremisten riss allerdings nicht ab. Abu Laith al Libbi, ein inzwischen von US-Hellfire-Raketen getöteter Al Qaida Ausbilder, diente als Mittelsmann zwischen den Al Qaida und der Jihad Union, organisierte Geld, Logistik und koordinierte militärische Aktionen beider Gruppen.

Ab 2005 focusiert sich die IJU nun auch auf die Anwerbung europäischer Muslime, besonders auf Türken und deutsche Konvertiten. In den türkischen Gemeinden Europas, vor allem im deutschsprachigen Raum, finden sich anscheinend hunderte junge Männer die bereit sind die lange und oft gefährliche Reise in die pakistanischen Stammesgebiete anzutreten um sich dort für den Dschihad ausbilden zu lassen. Den Geheimdiensten ist inzwischen bekannt dass nach der Anwerbung in den Heimatländern die Reise der Freiwilligen meist über die Türkei, Nordafrika oder eine arabischen Hauptstadt in den Iran führt. Letzter Aufenthaltsort vieler Rekruten vor der beschwerlichen Tour nach Waziristan ist die Makki Masjid im iranischen Zahedan, größte sunnitische Moschee des Landes. Ein Schleuser mit Namen Gafur Salimow organisiert von hier aus die letzte Etappe nach Pakistan. Als Vorwand für diese Reisen geben die jungen Männer aus Europa oft Sprachkurse an die sie in Zentralasien absolvieren wollen. In Realität ist das Ziel eines der Trainingslager in den Bergen nahe Mirali.
So oder so ähnlich gelangten u.a. mindestens ein dutzend Islamisten aus der Bundesrepublik Deutschland an den Hindukusch und wurden zu Mujaheddin im Heiligen Krieg gegen die westlichen Besatzungsmächte in Afghanistan. Fritz Gelowicz, Eric Breiniger, Hussein al Malla, Cüneyt Ciftcy – das sind nur einige Namen die in den letzten Jahren durch die Presse gingen und das darstellen was in der Terrorabwehr „homegrown terrorism“ genannt wird. In Deutschland geboren, dort aufgewachsen oder längere Zeit gelebt, gearbeitet oder studiert, zum Islam konvertiert oder zum Glauben „zurückgefunden“, dann radikalisiert, indoktriniert, vom Gift der Propaganda infiziert und letztendlich davon überzeugt der einzige Weg der ihnen bleibt ist ein Krieger Allahs zu werden. Kaum jemand kennt die genaue Zahl derer die seit dem 11.September von Deutschland aus ihren Weg antraten Mujaheddin zu werden und sich den kämpfenden Truppen der Al Qaida & Co im weit entfernten Afghanistan anzuschließen, es dürften jedoch weit mehr als die bisher vermuteten 50-80 potenziell gefährlichen Terroristen sein die von Verfassungsschutz und BND beobachtet werden. Jahre der Anti-Terrorkriege, der Stationierung von Bundeswehrtruppen, die Unterstützung der USA in ihrer Politik der offensiven Terroristenjagd erzeugten unzählige Dschihadis made in Germany.

Ob Türke, Libanese,

Albaner, Russe, Marokkaner oder

blonder, blauäugiger

Konvertit, der Dschihad heißt sie alle willkommen und die Islamic Jihad Union ist nur eine von vielen Anlaufstellen für willige Selbstmordattentäter oder Fußsoldaten für den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. Bekannt wurde die Gruppe erst vor knapp einem Jahr als sich der junge Türke Cüneyt Ciftcy aus dem bayrischen Freisling im ostafghanischen Khost in die Luft sprengte und mit seinem Anschlag auf eine US-Militärbasis als erster deutscher Selbstmordattentäter in Afghanistan durch die Medien bekannt gemacht wurde. Schnell war klar dass Ciftcy nicht der einzige Deutsche in den Reihen der IJU ist sondern er zu einer Gruppe gehörte die in der BRD Kontakte zur sogenannten „Sauerland-Zelle“ hatte. Auch seine Kollegen, den Deutsch-Libanesen Hussein al Malla und den Konvertiten Eric Breiniger hatte es auf das afghanische Schlachtfeld gezogen. Sie tauchten daraufhin in mehreren Propagandavideos der Islamic Jihad Union auf, drohten der Bundeswehr und der deutschen Bevölkerung mit Anschlägen.

Dass es sich bei den inzwischen hinreichend bekannten Personen nicht um die einzigen westlichen Mujaheddin in den Camps der IJU handelt dürfte spätestens seit dem Video mit Titel „Frohe Botschaft vom Hindukusch“ von Anfang 2009 klar sein.

Wie am Fließband präsentieren sich dort, mal vermummt, mal unkenntlich gemacht, mal ganz offen und in die Kamera lachend mehrere deutschsprachige Islamisten, posieren mit Kalaschnikows, rufen ihre „Brüder und Schwestern in Deutschland“ auf zum Dschihad zu kommen und schwören den NATO-Truppen blutige Rache für die Besatzung Afghanistans.

Schwierig scheint es wohl nicht zu sein dem Verfassungsschutz und anderer Behörden in Deutschland durch das Netz zu schlüpfen und sieben Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington ein Heiliger Krieger, und damit eine potentielle Gefahr für die westliche Welt zu werden.

War das bevorzugte Ziel des Dschihad-Tourismus nach 2003 eindeutig der Irak, so hat sich dies inzwischen auf Afghanistan und Pakistan verlagert. Wie in den 1980er Jahren eine Generation vor ihnen zieht es heute junge Extremisten nach Waziristan, Kunar oder Helmand um dort für Allah Ungläubige zu töten. Vielen erscheint der irakische Bürgerkrieg zwischen sunnitischen Dschihadis, nationalistischen Baath-Anhängern, Verbrecherbanden und den mörderischen Schiiten-Milizen als zu chaotisch. Al Qaida erlitt über die letzten Jahre schwere Rückschläge, verlor eine Hochburg in Al Anbar und dem Euphrat-Tal nach der anderen, muss heute in der Diyala-Provinz ums Überleben kämpfen, und sich mit großen Selbstmordanschlägen immer wieder zu Wort melden. Zu schnell, zu einfach wird ein unerfahrener Mujaheddin im Zweistromland Opfer der Al Mahdi Miliz, sunnitischer Anti-Al Qaida Söldner, kurdischer Geheimdienste oder der US-Armee als dass der Irak heute noch große Attraktivität auf Dschihadis aus aller Welt hätte. Am Hindukusch hingegen wird der Dschihad im „old school“ Sinne geführt, ein Guerilla-Krieg in karger, exotischer Umgebung der wie ein Magnet auf die junge Islamistengeneration wirkt. Tagtäglich können sie in ihren arabischen oder europäischen Heimatländern die Siege der Taliban in den Nachrichten sehen, Meldungen über getötete NATO-Soldaten reißen nicht ab, die Politik weltweit spricht von einem militärischen Versagen in Afghanistan und der Rückkehr der Taliban.

Fallujah, Tal Afar, Mossul, Ramadi, all die ehemaligen Hochburger der Al Qaida im Irak sind seit Monaten unter der Kontrolle der Besatzungsmächte und der irakischen Armee. Selbst wenn diese staatlichen Sicherheitsorgane hier und da noch nicht funktionieren so sorgen doch in den meisten irakischen Städten irgendwelche Anti-Al Qaida Elemente für ein Klima das den ausländischen Dschihadis kein sicheres Umfeld mehr bietet. Aufgegeben hat Al Qaida den Irak deshalb noch lange nicht!

Das Schlachtfeld Afghanistan lockt die internationalen Brigaden des Dschihad eindeutig stärker als Mesopotamien. Es mangelt nicht an Geld durch den Drogenanbau und Handel, durch Spenden und Schmuggel, Waffen und Ausrüstung sind durch mehr als 30 Jahre Krieg im Überfluss vorhanden und in vielen Regionen heißt die afghanische Bevölkerung die Taliban und ihre ausländischen Unterstützer willkommen. In den pakistanischen Stammesgebieten haben die Dschihadis zudem eine Sicherheitszone gefunden in der sie ausbilden, trainieren, planen, aufrüsten und sich im Notfall zurückziehen können. Pakistans Armee hat durch dubiose Deals mit örtlichen Stammesführern, Warlords und Mullahs eine No-Go-Area erschaffen der zurecht der „Wilde Westen Pakistans“ genannt wird. Weder der ISI noch das Militär Islamabads wagt ein echtes, aktives Durchgreifen gegen die terroristischen Aktivitäten im Grenzgebiet. Dem ISI geht es dabei um eine Art „Familienangelegenheit“, immerhin ist die Taliban-Bewegung und auch die Al Qaida das Ergebnis der ISI-Arbeit während des Krieges gegen die Sowjetunion.

Zudem förderte man den radikalen Islamismus auf eigenem Boden und in den Nachbarregionen aus geopolitischen Interessen, vor allem als indirekte Waffe gegen den Erzfeind Indien und zur Umsetzung pakistanischer Interessen in Afghanistan und Kashmir. Sein Kind opfert man nicht so einfach, nichtmal im Anti-Terror-Krieg um den amerikanischen Gönner zu befriedigen. Viel einfacher ist es für die Pakistanis den Dschihadismus nur oberflächlich zu bekämpfen, diplomatisch zu verurteilen, in Wahrheit aber zu fördern und inoffizielle, geheime Verträge mit den Islamisten zu schließen um die innerstaatliche Sicherheit zu garantieren.

Lasches Durchgreifen während des Krieges nach 9/11, unzureichender Personalaufwand und ein unzuverlässiger Partner in der Region, all das sind mit Ursachen dafür warum heute Afghanistan Anziehungspunkt für den internationalen Dschihad ist und nicht mehr der geschundene Irak.

Eine Besserung kann für die nächsten Monate nicht erwartet werden. Man sollte sich abfinden dass mehr und mehr Europäer in den Terrorlagern auftauchen werden, einige werden sterben, durch die Kugeln der NATO-Truppen, in Kämpfen mit rivalisierenden Stämmen in der Region oder durch den Einsatz amerikanischer Predator-Drohnen. Andere werden sich bei Selbstmordattentaten opfern, und einige werden versuchen in ihre Heimatländer zurückzukehren.


Dass in den Propagandavideos vom Hindukusch immer häufiger westliche Kämpfer zu sehen sind macht Sorge. Grund dafür kann nicht ausschließlich die Anwerbung neuer Kämpfer sein denn anscheinend herrscht daran kein Mangel. Den NATO-Staaten, allen voran den Deutschen und den Briten soll gezeigt werden dass es nicht nur einheimische Elemente sind gegen die sie kämpfen, sondern eine multiethnische Ansammlung von Gotteskriegern. Gleichzeitig soll Angst geschürt werden, Angst vor Anschlägen in Deutschland, gegen deutsche Einrichtungen, auf Bundeswehrsoldaten und Diplomaten. Dass 2009 ein Wahljahr in der Bundesrepublik ist, ist den Fanatikern in den Bergen zwischen Afghanistan und Pakistan bei weitem nicht entgangen, im Gegenteil. Sie zielen genau darauf ab die deutsche Meinung zum NATO-Beitrag in Afghanistan und rund um den Globus zu beeinflussen. Ein Keil soll geschoben werden zwischen Washington und Berlin, gerade in Zeiten in denen die deutsche Regierung eine Forderung nach mehr Soldaten und stärkerem Engagement von der neuen Regierung Obama erwartet und unmöglich ablehnen kann. Angst vor Terror soll die Deutschen dazu bringen ihre Partnerschaft zu Amerika im Bezug auf Afghanistan aufzukündigen. Noch glaubt man an den Lagerfeuern in den wazirischen Camps dies mit einer Flut von Propagandabotschaften tun zu können. Gefährlich hingegen könnte es werden wenn die Propaganda endet und auf die Worte Taten folgen könnten.

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