Erst der Krieg, dann die Wahlen. Morgen werden die Israelis zur Wahlurne gebeten. Spannend wird es wohl nicht, ein dramatischer Wahlkampf blieb aus, trotzdem wird die Welt an diesem Dienstag einen Blick auf das heilige Land werfen. Kaum ist der Donner der Bomben und Raketen in Gaza verhallt muss Israel eine neue Führung wählen. Die Kriterien unterscheiden sich diesmal allerdings kaum von vergangenen, weiterhin Wählerwunsch Nr.1: endlich Ruhe, endlich Sicherheit.
Zum ersten Mal seit Jahren herrscht in Israel dieser Tage keine besondere Wahlkampfstimmung. Die Euphorie über die morgigen Parlamentswahlen hält sich in Grenzen, vermutlich weil die Nachwirkungen des mehr als 20tätigen Gaza-Krieges vielen Israelis noch zu frisch sind.
In den israelischen Städten sind vergleichsweise wenig mit Wahlkampfwerbung plakatiert, die Parteien im jüdischen Staat buhlen weitaus weniger offensiv und lautstark um die Wählergunst als bei vergangene Wahlen. Mitverantwortlich dafür dürfte die allgemeine Stimmung sein die sich in der israelischen Bevölkerung breit gemacht hat. So ganz scheint man von keinem der Kandidaten überzeugt zu sein.
Aus Sicht der meisten Israelis verlief die jüngste Offensive im Gazastreifen im Gegensatz zum Libanon-Feldzug 2006 erfolgreich und forderte weniger israelisches Leben als viele Militäraktionen der vergangenen Jahre. Dennoch gelang es der scheidenden israelischen Regierung Livni/Olmert nicht den Raketenbeschuss aus Gaza zu stoppen. Kaum ein Tag verging seit Ende der Operation „Gegossenes Blei“ ohne dass Qassams auf israelische Städte und Siedlungen fielen. Erfolg hin oder her, Hamas lebt und hat ihren Kampf gegen den „zionistischen Feind“ noch lange nicht abgeschworen. Ob sich durch diesen kurzen aber extrem blutigen Krieg gegen Hamas die Beliebtheit der derzeitigen israelischen Führung unter der amtierenden Premierministerin Tzipi Livni, dem formalen Noch-Premier Ehud Olmert und Verteidigungsminister Ehud Barak steigen ließ ist fraglich. Insgesamt scheinen die Israelis zwar zurzeit keine große Begeisterung für ihre Politiker zu hegen, eine Ablehnung oder Negativhaltung ist jedoch auch nicht zu verzeichnen.
Glaubt man den Umfragen so wird es morgen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Likud-Block des früheren Premierministers Benjamin Netanjahu und der 2005 von Ariel Sharon gegründeten liberalen Kadima-Partei unter Vorsitz des neuen israelischen Polit-Sterns Tzipi Livni.
Knapp hinter den 25-30% der Stimmen, die jeweils auf die beiden größten Parteien fallen dürften, liegt höchstwahrscheinlich mit etwa 15% die Arbeiterpartei Awoda von Ehud Barak, dem derzeitigen Verteidigungsminister und Strategen des Gazakrieges. Dass sich durch die allgemein als erfolgreich angesehene Militäroperation gegen die palästinensischen Militanten der Falke Barak einige Wählerstimmen hat sichern können steht außer Frage, ob aber nicht auch durch seine während dem Gazakrieg propagandierte radikale Haltung zu Israels Strafaktionen gegen die Palästinenser, einige Wählerstimme an Kadima verloren gehen bleibt abzuwarten.
Auch der Faktor Feminismus und Gleichberechtigung spielt bei dieser Wahl eine Rolle, immerhin steht mit der Ex-Mossad-Agentin Tzipi Livni zum ersten Mal seit der legendären Golda Meir eine Frau kurz davor das höchste Amt im jüdischen Staat zu übernehmen. Von rechtsaußen aber befindet sich jüngst eine Partei auf der Überholspur die viele schon als das Zünglein an der Waage sehen.
Diese neue Volkspartei, Yisrael Beiteinu („Israel ist unsere Heimat“), zieht im Moment die Aufmerksamkeit der Medien auf sich und könnte laut jüngster Umfrageergebnisse vielleicht sogar drittstärkste Partei in der Knesset werden. Yisrael Beiteinu existiert bereits seit 1999, trat aber bisher zumindest in den internationalen Medien wenig in Erscheinung. Im Jahr 2006 gewann sie 11 Sitze im Parlament und schloss sich im Oktober selben Jahres dem Likud-Block an. Diesen verließ sie dann allerdings im Januar 2009 um als eigenständige Partei bei den Wahlen antreten zu können. Sowohl in Israel als auch im Ausland gilt Yisrael Beiteinu aufgrund ihrer extrem rechtskonservativen Haltung als kontrovers. Israels nationale Rechte feiert die Partei und ihren Vorsitzenden Liebermann als einen neuen aufstrebenden Stern am israelischen Polithimmel, das linke und liberale Lager betitelt Yisrael Beiteinu als rechtsradikal und extremistisch.
Aus seiner ultrarechten Einstellung macht Avigdor Liebermann, Gründer und Vorsitzender der Partei, keinen Hehl. Der 50jährige Nationalist gilt seit Jahren als umstrittene Figur in der Knesset, viel immer wieder durch seine extremen Äußerungen im Bezug auf die Anti-Terror-Politik, der Räumung von Siedlungen und die Thematik der in Israel lebenden Palästinenser, auf.
Dass sich ausgerechnet Liebermann als patriotischen Israelis bezeichnet lässt sich kaum aus seiner Biografie erahnen. Geboren wurde er in der äußerst armen und sozialschwachen jüdischen Gemeinde im heutigen Moldawien, damals Teil der Sowjetunion. Sein Geld verdiente er zunächst als Türsteher, dann als Radiomoderator. 1978 zog Liebermann schließlich nach Israel, heiratete und wurde Vater von zwei Kindern. Seine patriotischen Gefühle gegenüber Israel und seine Ablehnung einer versöhnlichen Politik gegenüber den Palästinensern entwickelten sich womöglich in dieser Zeit. Wie viele Immigranten aus Osteuropa und den Sowjetgebieten baute sich auch Avigdor Liebermann seine Existenz in Israel als Einwanderer auf, lebt bis heute in Nokdim, einer jüdischen Siedlung südlich von Bethlehem, mitten im palästinensischen Westjordanland.
Über die Jahre gelang es seiner Partei die ultrarechten Stimmen in der israelischen Gesellschaft für sich zu gewinnen und eine Stammwählerschaft anzusammeln. Nun steht Yisrael Beiteinu anscheinend kurz davor einen parteihistorisches Wahlergebnis zu erzielen und eventuell sogar Ehud Baraks Arbeiterpartei zu übertrumpfen. Sollte Avidgor Liebermann tatsächlich Teil der neuen israelischen Regierung werden müssen sich vor allem die in Israel lebenden Araber, immerhin knapp 24% der Bevölkerung, auf härtere Zeiten gefasst machen. Vor kurzem erst wiederholte Liebermann seinen Vorschlag, alle nicht-jüdischen Bürger aus dem israelischen Staat in das palästinensische Territorium umzusiedeln. Der in Israel als „Liebermann-Plan“ bekannt gewordene Vorschlag dieser Bevölkerungsumsiedlung nach ethnischen Kriterien veranlasste im Juni 2004 Ariel Sharon Avigdor Liebermann aus der Knesset zu verweisen, seine radikalen Ansichten seien nicht hilfreich bei der Bewältigung der Probleme Israels, sondern seien für den Frieden in Nahost hinderlich. Dies war für Liebermann allerdings kein Grund von seinem Standpunkt abzuweichen. Sogar vor den arabischen Politikern im israelischen Parlament machte er keinen Halt und erklärte im November 2006 man habe nach dem Zweiten Weltkrieg die Nazi-Kollaborateure hingerichtet, und er hoffe dass das gleiche Schicksal denen blühe die mit den islamischen Kräften verhandeln wollten. Mit diesen „Verrätern“ waren die palästinensischen Abgeordneten der Knesset gemeint.
Ebenfalls umstritten sind die Parteivorschläge zur Umsetzung einer neuen Immigrationspolitik. Neue, jüdische Staatsbürger sollen es leichter haben in Israel Fuß zu fassen, ein Geschäft zu errichten und wirtschaftlich aufzusteigen. Einer Mehrheit der Israelis dürfte eine solche Politik auf den Magen schlagen, hat man doch schon seit Jahren Angst vor Mafiastrukturen und organisierter Kriminalität durch osteuropäische und russische Einwanderer.
In jüngster Vergangenheit viel der Beiteinu-Führer mit seinen Bemerkungen zum Gazakrieg („…wir müssen Hamas bekämpfen so wie es die USA mit den Japanern im Zweiten Weltkrieg getan haben“ und einer neuen Kampagne auf die derzeit in Israel eine „Loyalitätüberprüfung“ propagiert, was anscheinend von vielen Israelis positiv aufgenommen wird. Jeder nicht-jüdische Israeli soll nach Auffassung der Yisrael Beiteinu Partei auf seine Loyalität zum jüdischen Staat überprüft werden, damit solle verhindert werden dass Sympathisanten der Feinde Israels politische Macht und die Staatsbürgerschaft erhalten sowie allgemeine Vorzüge des Staates genießen können. Sämtliche Parteien lehnten diesen Vorschlag schon in der Vergangenheit als rassistisch ab.
Warum Yisrael Beiteinu gerade jetzt diesen Zulauf erhält und wohl mit 14-16% der Stimmen rechnen kann ist nicht ganz klar. Einige Kenner der israelischen Politik meinen ein gewisser Teil der Bevölkerung sehne sich nach einer starken, selbstbewussten Führerfigur die eine harte Palästinenserpolitik durchsetzen will. Dies sei zurückzuführen auf die anscheinend anhaltende Politikverdrossenheit der Israelis und den Mangel an charismatischen, neuen Parteigrößen. Andere Stimmen glauben es der Ausdruck der Verhärtung der Fronten, bzw. der politischen Lager, als Folge des Gazakrieges. Von der religiösen Ultrarechten ist seit geraumer Zeit wenig zu hören, die Nationalisten ohne Glaubensbestrebungen hingegen finden bei jungen Israelis wieder zulauf. Häufiger als noch vor einem Jahr hört man mittlerweile Rufe wie „Tod den Arabern!“ und „Niemals Palästina!“ auf Wahlkampfveranstaltungen und öffentlichen Demos.
Wie wird Israels Parlament nach dem morgigen Wahltag aussehen? Prognosen sagen Netanjahu wird mit seinem Likud-Block voraussichtlich um die 25 Sitze in der Knesset gewinnen. Zu verdanken hätte er dies dann aber eindeutig der aufstrebenden Yisrael Beiteinu. Mit ihr und anderer Likud „Satelliten-Parteien“ wäre dann eine rechte Nationale Koalition möglich, vielleicht sogar unter Teilnahme der Arbeiterpartei, dessen Vorsitzender Ehud Barak als Wunsch-Verteidigungsminister Benjamin Netanjahus gilt.
Insgesamt käme eine solche Union der nationalen Konservativen auf etwa 80 Parlamentssitze. Problematisch dürfte innerhalb dieser Regierungskoalition die Tatsache sein dass sich politische Gegner wie Liebermann und Barak einig sein müssten, was in der Vergangenheit schon äußerst schwer zu realisieren war. Arbeiterpartei und Yisrael Beiteinu-Abgeordnete trugen in den letzten Monaten immer wieder harsche Wortgefechte in der Knesset und auch außerhalb, in den Medien aus.
Der alte Kader um Olmert, Livni und Barak konnte in den letzten Monaten ihre Umfragewerte nicht dramatisch verbessern, die militärische Aktion der Hamas verschaffte ihnen nicht die erhoffte Popularität. Wie es scheint gelten die früheren Weisheiten israelischer Politik nicht mehr. Zeiten des Krieges waren traditionell immer die Zeit der Falken, der politischen Hardliner und Populisten. Mag sein dass die hohe Opferzahl an Zivilisten im letzten Gazakrieg einen Ausschlag gibt bei der Wahl zu Israels neuer Führungsspitze, vielleicht hat man in Tel Aviv, Netanja, Haifa und Jerusalem inzwischen aber erkannt dass auf Versprechungen von Seiten der Politiker kaum gesetzt werden kann. Hoffnungen nach Sicherheit für die Bürger des Judenstaates, ein Hoffen auf Frieden mit den Palästinensern, nichts davon konnte erreicht werden durch die vergangenen Regierungskoalitionen, ihre politischen wie militärischen Anführer. Resignation heißt das Stichwort derzeit. Ein „Egal-Gefühl“ macht sich im Heiligen Land breit.
Auf palästinensischer Seite stellt man eine äußerst pessimistische Haltung fest. Auf eine Veränderung in der israelischen Politik hat man zu oft schon gehofft. Schlimmer, so sehen es die meisten Palästinenser, kann es kaum werden, eine radikale Kursänderung wäre mehr ein Wunder als Alles andere. Sie haben, davon sind viele in Westbank und Gaza überzeugt, mit viel Blut bezahlt dafür dass in Israel sich nun eine neue Führung profilieren kann. Erfolgreiche Kriegsherren glauben sie würden morgen ihren vermeintlich militärischen Sieg in einen politischen verwandeln können. Genau dafür wurde Wahlkampf betrieben, nicht in den Straßen, Hallen oder Plätzen in Israel, nicht in Debatten in der Knesset, nicht im Fernsehen oder Internet, sondern im Gazastreifen. Hier wurde der israelische Wahlkampf 2009 bittere Realität für hunderttausende Palästinenser, für hunderte wurde er zum Todesurteil.
Hoffentlich stimmt wenigstens die Wahlbeteiligung.
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