Tuesday, June 8, 2010

Tod auf hoher See - Die Frage nach der Wahrheit vor Gaza


David gegen Goliath - das alte Spiel vom schwachen Zwerg gegen den übermächtigen Riesen wiederholte sich jüngst vor der Küste des Gaza-Streifens. Der Konvoi der türkischen Organisation IHH planten mit mehreren Booten die von Israel 2007 verhängt Blockade des dichtbesiedelsten Flecken der Erde zu durchbrechen und Hilfslieferungen in Gaza abzuliefern. Die eigentlich Intention jedoch lag in der Symbol der provozierenden Aktion.

Sich der Sympathie der Israel-Kritiker wie Gegner im Rücken sicher zu fühlen, steuerte der Trupp Friedensaktivisten, darunter auch ein Friedensnobelpreisträger und deutsche Politiker der Linkspartei, auf den Hamas-Staat Gaza zu. Noch auf hoher See, wohlgemerkt in internationalen Gewässern, wurde der Trupp ("Flotilla" genannt) von israelischen Marinesoldaten aufgebracht. Per Hubschrauber und Boot enterten die Soldaten die Schiffe der IHH, die zuvor die Warnung Israels ignoriert hatten und sich weigerten den Hafen von Ashkelon anzusteuern.

Was dann an Bord der türkischen Schiffe geschah ist weiterhin unklar wie umstritten. Eine Propagandaschlacht entbrennt seitdem zwischen Israel und seinen Kritikern/Feinden. Fakt ist: acht türkische und amerikanische Aktivisten kamen durch israelische Kugeln ums Leben, alle Opfer weisen Schussverletzungen im Rücken und Kopf auf.



In der Türkei feierten zehntausende Unterstützer in der vergangenen Woche die Toten des Gaza-Konvoi-Zwischenfalls als Märtyrer für die palästinensische Sache und als Opfer der jüdischen Killer. Durch die Pro-Palästina-Lobby Europas ging ein Aufschrei der Entrüstung. Von einem Kriegsverbrechen, von einem Massaker, kaltblütigem Mord und maßloser Brutalität war die Rede. Aus Washington kamen harsche Forderungen nach einer Untersuchung des Vorfalls, aus Ankara hingegen folgte Säbelrasseln und Kriegsgebrüll in Richtung Jerusalem.

Israel konterte mit der Freigabe eines Teils der von der israelischen Marine aufgenommenen Videos, die zeigen, wie Friedensaktivisten mit Eisen- und Holzstangen auf die israelischen Soldaten einprügelten, als diese die Schiffe enterten. Soldaten wurden von den Aktivisten über Bord geworfen, einige gingen mit Messern und Dolchen auf die Israelis los.

Zuvor hatte bereits der arabische TV-Sender Al-Jazeera Tonbandaufnahmen von Bord der Schiffe gesendet. Was die angeblichen Friedensaktivisten dort sangen, klang alles andere als friedlich. "Khaibar, Khaibar ya Yehud" - ein Slogan zur Erinnerung der Juden an die Schlacht von Khaiber, bei der eine islamische Armee unter Befehl des Propheten Mohammed einen jüdischen Stamm angriffen und töteten.

Inzwischen hat Israel eine internationale Untersuchung der Ereignisse an Bord der türkischen Schiffe abgelehnt und hat eine eigene Analyse der Geschehnisse eingeleitet. Innerhalb des israelischen Militärs wird die Frage zu klären sein, weshalb martialisch uniformierte Soldaten sich per Hubschrauber hollywoodreif auf Boote verhältnismäßig leichtbewaffneter Aktivisten abseilen mussten, und weshalb Schüsse fielen die zum Tod mehrerer Menschen führten.

Mehr als 400 palästinensische und ausländische Flotten-Aktivisten, darunter auch Deutsche, hielt Israel tagelang fest, soll Berichten zufolge Foto- und Videoaufnahmen von Kameras gelöscht haben. Was die türkische Organisation IHH nun vor wenigen Tagen veröffentlichte, sind die wohl einzigen dokumentierten Aufnahmen, die offensichtlich verletzte, am Boden liegende und blutende israelische Soldaten zeigen.
Verängstigt, entstellt durch Platzwunden und von gleich einem Trupp Männer am Boden gehalten, wirken die israelische Soldaten geradezu hilflos und vollkommen überrumpelt. Wie Trophäen präsentiert die IHH-Mannschaft die bloßgestellten Militärs.
Reuters verbreitete einige der Aufnahmen, die von der türkischen Zeitung Hürriyet als erstes öffentlich gemacht wurden. Anders jedoch als auf den Original-Fotos zeigt die Reuters-Variante in einigen Fällen nicht, was sich in eben jenen Szenen abspielte. Am Bildrand der Originale sind Messer zu sehen, die den außer Gefecht gesetzten Soldaten entgegen gehalten werden.

Von Manipulation und Fälschung spricht man in Israel. Die Nachrichtenagentur habe wissentlich Bildmaterial verändert und dadurch die IHH-Flotte verharmlost. Tatsächlich seien viele der Aktivisten mit Messern auf die Soldaten losgegangen, hätten teilweise von Kameraden sogar davon abgehalten werden müssen ihnen schlimmere Verletzungen anzutun oder sie zu ermorden.

Aus Sicht der türkischen Organisatoren der Gaza-Flotte stellt sich die Frage nach der Bewaffnung nicht. Es habe sich um eine Aktion in internationalen Gewässern gehandelt, Israel habe sich damit der Piraterie schuldig gemacht und die Waffen seien nur zur Verteidigung eingesetzt worden.

Wie so oft starb auch an Bord der "Mavi Marmara" die Wahrheit zuerst. Diejenigen die jetzt nach ihr rufen, haben die Geschehnisse durch Propaganda, Fehlinformation oder blanke Lügen selbst derart beeinflusst, dass eine schwarz-weiß Beurteilung unmöglich ist.

In Zeiten der modernen Medien sprangen nur kurz nach dem Vorfall vor Gaza, Sympathisanten beider Seiten in die Presche. Ein israelisches Satire-Team produzierte ein Video, in dem Schauspieler Friedensaktivisten nachstellen und aus Michael Jacksons "We are the World" eine Comedy-Version namens "We con the World" (Wir verarschen die Welt) machen.



Auf Facebook, über Twitter und diverse Blogs und Internetforen rührt die Gegenseite die Märtyrertrommel. Unterstützt vom iranischen Präsidenten und weiterer populistischer Stimmen aus der islamischen Welt, werden die Rufe nach neuen Hilfskonvois für Gaza laut.

Iran versichert, man werde die Freunde Palästinas auf dem See- und Luftweg eskortieren und sogar eigene Boote nach Gaza schicken. Tausende Iraner schrieben sich dafür bereits in Freiwilligenlisten ein - mehr Wunschtraum als Realität.

Dass in Israel heftig über den Einsatz auf der Mavi Marmara diskutiert wird zeigt, dass die Aktion wohl vollkommen aus dem Ruder lief und von Seiten der Soldaten überreagiert wurde. Ohne Zweifel werden innerhalb der IDF Kopfe rollen müssen für den Tod der türkischen Aktivisten.

Das eigentliche Fazit aber ist ein altes. Israel ging ein weiteres Mal auf eine bewusste Provokation ein und tötete im Namen der Selbstverteidigung. Damit verliert die einzige Demokratie im Nahen Osten Freunde und kreiert zweifelsohne neue Feinde. Die Gleichgültigkeit mit der Israels Streitkräfte agieren macht Angst und beweist: die Roadmap ist tot.
Wann immer Israel auf das Recht auf Selbstverteidigung pocht und in den Krieg zieht, werden die IDF-Soldaten zu Mördern abgestempelt und der Araber-Hass des Judenstaates beschworen. In einer Situation in der Israel, egal wie es agiert, nur verlieren kann, setzt eine kompromisslose Politik ein. Der Schutz jüdischen, israelischen Lebens steht an erster Stelle, ein Einlenken gegenüber den Palästinensern erscheint sinnlos.

Spätestens seit der Januar 2009-Offensive in Gaza, ist Israels Image als eigentlich friedenssuchende Nation begraben und vergessen. Und weil keine Meinung mehr zählt und der schwarze Mann im Weißen Haus trotz der Lippenbekenntnisse kein verlässlicher Partner ist, wartet Israel ab. Ohne Rücksicht auf weiteren Imageschaden und weitere diplomatische Krisen morden Mossad und IDF, ob in einem Hotelzimmer in Dubai, in den Straßen von Damaskus oder vor der Küste Gazas. "Wir haben nichts zu verlieren, deshalb erledigen wir die Drecksarbeit" - diesem Credo scheint man in Jerusalem derzeit zu folgen.
Ob man letztendlich einsieht, dass Hamas die einzige Partei auf palästinensischer Seite sein wird, mit der man irgendwann Verhandlungen aufnehmen muss (alle anderen reden ja bereits), hängt jedoch mehr von den Ereignissen in Washington ab als von jenen vor und in Gaza.

Obama hat kaum Chancen auf eine Wiederwahl, im eigenen Land verteufelt ein Teil der Bevölkerung ihn als muslimischen Kommunisten, der die Wirtschaft verstaatlichen und Immigration Tür und Tor öffnen will. Auf wen also sollte Israel hören, wenn die Rufe nach einem Siedlungs-Stop an die Tore der Knesset dröhnen? "Israel first" - dies gilt im Jahr 2010 mehr als jemals zuvor.

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