Monday, February 8, 2010

Einzig der Feind fehlt... - Helmand Offensive die größte seit 2001


"Ein eiterndes Geschwür" - das ist Marjeh in der Sprache des US-Militärs, eine Hochburg der Taliban mitten in Helmand, der wohl am stärksten umkämpften Provinz Afghanistans.
Die Stadt, eigentlich ein Zusammenschluss mehrerer Dörfer, ist die Heimat von etwa 100.000 Afghanen. Tausende haben die Region bereits verlassen, als sie per Flugblatt von der NATO informiert wurden, dass eine Großoffensive bevorsteht.

Das US-Militär, unterstützt von NATO-Einheiten und afghanischen Soldaten will Marjeh und die umliegenden Dörfer der Kontrolle durch die Islamisten entreißen. "Wir werden die Kontrolle über einen wertvollen Besitz übernehmen, den sie seit einiger Zeit kontrollieren", kündigte der Vize-Kommandeur des US-Stützpunktes Camp Leatherneck, George Amland, bereits vergangene Woche an.
In Marjeh haben die Taliban faktisch die Kontrolle übernommen, richten und walten nach Sharia, stellen das einzige Machtmonopol dar und demütigen damit die Zentralregierung von Kabul.

Um zu beweisen dass im neuen Afghanistan keine Macht neben der Regierung Karzai geduldet wird, soll in Helmand eine "show of force" stattfindet. Im Klartext bedeutet dies: in den kommenden Tagen wird rund um Marjeh die größte Militäroffensive der NATO seit Einmarsch in Afghanistan 2001 starten.
Truppen und Versorgungseinheiten wurden in den letzten Wochen zusammengezogen. Alleine 5,000 der 30,000 zusätzlich nach Afghanistan georderten US-Soldaten wurden in der südlichen Unruheprovinz stationiert um die Battalione der ISAF zu verstärken.

Helmand ist zur Hölle für das internationale Militärbündnis geworden. In keiner Provinz Afghanistans ist die Zahl der Sprengfallen-Anschläge höher, nirgends werden britische und amerikanische Truppen häufiger in Hinterhalte gelockt und angegriffen.
Die Wüsten-Provinz ist durchzogen vom Helmand-Fluss, an dessen Ufern Ortschaften und Dörfer weit verstreut liegen. Schlafmohn ist die Haupteinnahme-Quelle der pashtunischen Bauernfamilien und die gesamte Region ist der wichtigste Produktionsort für den Heroin-Grundstoff.

Was in den Spritzen der Junkies von LA bis Moskau landet, stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von den fruchtbaren Mohnfeldern Helmands. Hier liegt das Problem. Wiederaufbau, landwirtschaftliche Alternativen zum Drogenanbau und ganz allgemeine Entwicklungshilfe ist in Helmand faktisch nicht vorhanden.
Die NATO konzentrierte sich auf militärische Strategien die gewaltige Gegend südlich von Kabul zu sichern, kämpft dabei einen aussichtslosen Abnutzungskrieg gegen islamistische Guerillas, die immer wieder aus dem pakistanischen Belutschistan einsickern.

Den Taliban fällt es durch Schutzgeld-Erpressung und familiäre Strukturen der Pashtunen-Stämme nicht schwer in Helmand eine Bastion des Islamismus zu errichten. Hier findet jene Strategie statt, die Mao einst "der Fisch im Wasser" nannte. Die Islamisten tauchen in den Dörfern Helmands unter, sie legen wöchentlich dutzende Sprengfallen und zermürben die Moral der westlichen Soldaten.
Besonders Großbritanniens Militär leidet in Afghanistans Süden. Hunderte Soldaten der Royal Army starben in Helmand durch die IEDs, tagtägliche Raketen- und Mörserangriffe oder im direkten Gefecht.


Vor zwei Jahren bereits warnten britische Militärs in Helmand und Kandahar würde die NATO an ihre Grenzen stoßen. Die dortigen Gefechte seien die heftigsten seit Amerikas Krieg in Vietnam und für Großbritannien die verlustreichsten seit dem Falklandkrieg.
Frieden in Helmand zu schaffen bedeutet aus Sicht der Anti-Terror-Allianz vor allem eines: Kämpfen. Der Krieg muss, so will es Washington, zum Feind getragen werden. Vereinzelte Patrouillen und "sich im Lager verstecken" soll in der gefährlichsten Provinz Afghanistans Geschichte sein.

Operation "Moshtarak" (Dari für "gemeinsam") soll die Taliban-Herrschaft in Helmand beenden. Anwohner berichten es seien bereits so viele Zivilisten aus der Gegend Richtung Lashkar Gah geflohen dass sich nur noch die turbantragenden Islamisten in Marjeh aufhielten.
Die NATO-Kommandeure erwarten heftige Schlachten und britische Militärs warnten schonmal im voraus, man müsse mit eigenen Verlusten rechnen trotz der tausenden kampfbereiten Truppen.

Schon im Juli und Anfang Dezember 2009 ließ die NATO Offensiven in Helmand durchführen. Mit hunderten Panzern und Hubschraubern wirkten die Militäroperationen wie apokalyptische Endschlachten. Am Ende aber blieb der Feind aus. Auf großen Widerstand stießen die Großoffensiven nie.


Wie zu erwarten zogen sich die Taliban zurück, legten Turban und Kalaschnikow ab, flohen als Zivilisten Richtung Norden oder tauchten einfach in der Bevölkerung Helmands unter. Im Gefecht Mann-gegen-Mann würden die Islamisten innerhalb kurzer Zeit besiegt. Also wählen sie die einfacherer Taktik und bieten keinerlei Angriffsfläche. Sie lassen die NATO ins Leere laufen und attackieren wenige Wochen später wieder mit den versteckten Bomben am Straßenrand oder spontanten Hinterhalten.

Helmands Taliban-Problem ist nicht durch militärische Phyrrus-Siege zu lösen. Der Guerilla-Krieg im Süden Afghanistans ist ein asymmetrisches Abnutzungskrieg gegen den bis heute kein Heilmittel gefunden wurde.
NATO-Soldaten werden sterben. Vielleicht nicht während der Offensive, wohl aber wenige Wochen später. Ob die amerikanischen, britischen und afghanischen Truppen überhaupt Taliban-Kämpfer zu Gesicht bekommen werden ist fraglich.

Fest steht: Das Land am Hindukusch ist mit der jetzigen Zahl westlicher Soldaten nicht zu halten geschweigedenn zu kontrollieren. Was erreicht werden soll, ist die absurde Vorstellung Kabul könne auf dem Land Macht und Stärke demonstrieren, wohlwissentlich dass dort der Kampf lässt verloren ist.

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