Saturday, August 7, 2010

Massaker an Missionaren in weißen Kitteln?


"Die International Assistance Mission ist ein Zusammenschluss von christlichen Organisationen, die mit Leidenschaft und Güte den Menschen von Afghanistan dienen, im Namen und Geiste von Jesus Christus" -


dieser Einleitungssatz im Jahresbericht der "International Assistance Mission" (IAM) reicht aus, um zu verstehen unter welch schwierigen und lebensgefährlichen Umständen jenes westliche Ärzteteam am Hindukusch operierte, das gestern tot im Norden Afghanistans aufgefunden wurde. Neun Augenärzte, eine deutsche Übersetzerin und zwei afghanische Übersetzer waren von Einheimischen in einem Waldstück der Region Kunar Minjan, in der Provinz Badakhshan gefunden worden. Die Leichen der fünf Amerikaner, einer Amerikanerin, einer Britin, einer Deutschen und zwei Afghanen lagen neben ihren kugeldurchsiebten Geländewagen, erschossen im Exekutionsstil.

Das Ärzteteam der in Genf ansässigen Hilfsorganisation IAM, die seit 1966 in Afghanistan aktiv ist, war vor wenigen Tagen von einem Projekt in der nordafghanischen Provinz Nuristan Richtung Kabul aufgebrochen. "NOOR", arabisch für "Licht", so heißt das Augenmedizin-Programm, dass die christliche NGO in den vergangenen Jahren an verschiedenen Orten in Afghanistan aufgebaut hat. Alleine in Nuristan, wird die Augen-Klinik von IAM von bis zu 400 Patienten täglich aufgesucht. Grauer Star und andere recht einfach und schnell zu behandelnde Augenleiden werden durch IAM von angelernte Einheimische und die ausländischen Mediziner behandelt. Neben den medizinischen Hilfsprojekten leitet IAM in Badakhshan und Nuristan auch Sprachprogramme, in denen den Einheimischen Alphabetisierungskurse angeboten werden.

Dr.Tom Little (61), ein New Yorker Augenarzt, war der Leiter des "NOOR"-Projekts im abgelegenen Tal von Nuristan. Er war seit über 30 Jahren in Afghanistan tätig, seine drei Töchter wuchsen am Hindukusch auf, gingen in Indien zur Schule und sind alle im medizinischen Bereich tätig - in Afghanistan, dem Irak und Texas. Kurz vor dem 11.September, im August 2001 war Little erstmals von den Taliban als Missionar des Landes verwiesen worden. Damals ebenfalls verhaftet wurden mehrere deutsche Entwicklungshelfer.
Little´s Ehefrau, die er seit seiner High School Zeit kannte, hatte ursprünglich geplant ihren Mann auf der Reise nach Nuristan zu begleiten. Eine Knieverletzung hielt sie letztendlich davon ab.

Dr.Littles Tod wurde kurze der Meldung des Massakers am IAM-Ärzteteam, von Seiten der Organisation bestätigt. Fünf amerikanische Kollegen, darunter eine Frau, die deutsche Dolmetscherin Daniela B. und die britische Allgemeinmedizinerin Dr.Karen Woo (36) fanden ebenfalls den Tod in den Bergen zwischen Nuristan und Badakhshan.

Dr.Woo, eine Ärztin aus Hertfordshire, hatte vor kurzem noch über ein Internet-Forum wissen lassen, dass sie ihre Arbeit in Nuristan beendet habe und sich nun auf den Rückweg in die afghanische Hauptstadt mache. Unterwegs wollten sie zu einer mehrtägigen Bergtour in das 3000m hoch gelegene Panur-Tal aufbrechen.
Die britische Ärztin war für die private Gesundheitsvorsorge-Organisation BURPA tätig. Diese hatte sie nach Afghanistan entsandt um als humanitäre Helferin zu arbeiten. In England plante die junge Ärztin demnächst ihren Lebenspartner zu heiraten. Die Sicherheitsrisiken in Afghanistan, so schrieb Dr.Woo in einem Internet-Eintrag, würde sie auf sich nehmen, weil es die medizinische Entwicklungshilfe vor Ort wert sei.
"Diese Menschen in den abgelegenen Berggegenden haben keinerlei medizinische Versorgung", schrieb Dr.Woo. Sie wolle der Welt über das Schicksal der Afghanen berichten und erlebe durch ihre Arbeit "einen Seite dieses Landes, das Soldaten und Journalisten nicht zu sehen bekommen."

Seit zwei Monaten arbeiteten Dr.Woo und ihr Team in der Augenklinik von Nuristan. Am Freitag starteten sie zu einer Expedition ins Panur-Tal und campten unterwegs in einem Waldstück.
Dorfbewohner hatten die Ausländer gewarnt, nicht in dieser Gegend Rast zu machen. Taliban und Verbrecherbanden seien hier aktiv und würden nur auf eine Gelegenheit warten Westler zu entführen oder auszurauben. So geschah es schließlich auch. Den ausländischen Ärzten waren die Warnungen egal. Sie entgegneten, sie seien Mediziner und daher würde ihnen nichts geschehen.

Es kam wie es kommen musste. Der IAM-Konvoi wurde überfallen, ihre SUV-Geländewagen zerschossen und die Ärzte plus ihre afghanischen Begleiter getötet.

Ein Afghane namens Saifullah überlebte den Überfall und berichtete den Polizisten in Badakhshan, er habe "um sein Leben gefleht und den Koran zitiert". Als die bärtigen Angreifer überzeugt waren, dass Saifullah Muslim ist, ließen sie den afghanischen IAM-Mitarbeiter frei. Den Ausländern jedoch nahmen sie Geld und Pässe ab, und richteten einen noch dem anderen mit ihren Kalaschnikows hin.

Von Seiten der afghanischen Taliban folgte am frühen Vormittag, kurz nachdem die Meldung über den Mord am Ärzteteam bekannt wurde, ein Bekennerschreiben sowie eine Erklärung gegenüber Journalisten. Der Pressesprecher der Taliban erklärte, man habe in Badakhshan westliche "Missionare und Spione getötet". Bibeln und andere Dokumente, sowie Karten und GPS-Geräte, die bei den Ausländern gefunden wurden, beweisen, so der Taliban-Sprecher, dass die Ausländer die Afghanen zum christlichen Glauben konvertieren, und außerdem die Aufenthaltsorte der Taliban herausfinden wollten.


Im schriftlichen Bekennerschreiben aus dem Internet heißt es interessanterweise, bei den Getöteten handle es sich um "zwei Amerikaner, Tom und Johnson, die restlichen sind deutsche Staatsbürger." Erste Medienberichte zitierten afghanische Sicherheitskräfte aus der Region ebenfalls mit der Aussage, sechs der gefundenen Leichen seien deutsche Mediziner. Diese Version gilt inzwischen als falsch, auch wenn das Auswärtige Amt bislang offiziell nichts zum Mord an der deutschen Ärztin oder ihrer Identität preisgab.

Überraschend bleibt, dass die Taliban die westlichen Reisegruppe augenscheinlich sofort und ohne zu Zögern exekutierte, und nicht versuchte die sieben Männer und drei Frauen zu entführen. Viel zu wertvoll wären die westlichen Ärzte als Geiseln als dass die Islamisten sie einfach erschießen würden. Denkbar wäre durchaus, dass Verbrecherbanden, Drogenschmuggler oder gewöhnliche Straßendiebe, die Ausländer aufspürten und ausraubten.

Ob tatsächlich Bibeln, eventuell noch in örtlicher Landessprache, im Gepäck der IAM-Mitarbeiter gefunden wurden, ist bislang nicht bewiesen. Möglicherweise schieben die Taliban dies als vermeintlichen Grund für die Hinrichtung vor. Christliche Missionare, die sich ins Taliban-Land gewagt hatten - in der internationalen Presse gäbe und gibt es viele, die dies als Rechtfertigung für einen Überfall werten.


Dass IAM-Leiter Dirk Frans den Behauptungen der Taliban sofort widersprach, die Ärzte seien auf Bekehrungs-Mission gewesen, verwundert nicht. Völlig ohne die typische Jesus-Botschaft und biblische Nächstenliebe-Lehre kommt IAM nicht aus. Die humanitäre Organisation hat sich auf die Fahne geschrieben, Augenkrankheiten in entlegenen Gegenden Afghanistans zu behandeln, dort Spitäler oder zumindest kleine Kliniken einzurichten in denen auch einheimische Ärzte operieren können.
Mediziner aus aller Welt, die mit der christlichen Heilslehre und Gottes-Zuversicht ausgestattet sind, folgen dem Aufruf von IAM und verbringen oft Monate im kriegszerrütteten Afghanistan.

Hinter der humanitären Fassade dürfte - nach Sichtung der IAM-Dokumente und Recherche zu den Projekten der Organisation - auch der christliche Missionsgedanke eine entscheidende Rolle für die Motivation der IAM-Mitarbeiter spielen. Wie schon im Fall der Familie Henschel im Nordost-Jemen, traf die Ärztegruppe um Dr.Tom Little, das Schicksal der modernen Missionare im Namen Jesu.

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