Ein Vorfall an der Grenze zum Gazastreifen könnte die Gewalt im Nahen Osten wieder aufflammen lassen. Israel wird sich nicht mit der Opferrolle abfinden, Strafaktionen gegen die militanten Palästinenser werden bald schon der Tagesordnung angehören. Versteht man in Tel Aviv wie wenig der Gazakrieg zur Sicherheit des jüdischen Staates beigetragen hat? Nicht Israel ist Sieger, sondern die Unvernunft und die Gefühle der Rache.
In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages befand sich eine Gruppe israelischer Soldaten direkt am Grenzzaun zu Gaza, in der Nähe der Kissifum-Grenzübergangs auf Patrouille als eine nach Medienangaben, ungewöhnlich große Roadside-Bomb, eine selbstgebastelte Sprengfalle am Straßenrand explodierte, den IDF-Jeep schwer beschädigte und einen der Soldaten tötete, drei andere verletzte, einen davon schwer. Es kam zu einem kurzen Feuergefecht zwischen Soldaten und militanten Palästinensern und wenig später flog die israelische Luftwaffe wieder Einsätze, Kampfhubschrauber nahmen Ziele in Gaza ins Visier, palästinensische Quellen berichten von Merkeva-Panzern die wieder in den Gaza-Streifen eingedrungen wären und mehrere Geschosse auf Gebäude abfeuerten.
So sieht also die Definition von Waffenruhe in Nahost aus, kaum eine Woche nach Ende der offiziellen Kampfhandlungen und dem Abzug der israelischen Streitkräfte aus Gaza. Natürlich kommen wieder Fragen auf wer zuerst den brüchigen Frieden zwischen Hamas und IDF gebrochen hat. Wer legte den Sprengsatz? Bis jetzt gibt es keine offiziellen Bekennerbotschaften, Hamas äußert sich nicht dazu und erklärt lediglich die „Zionisten“ seien verantwortlich für die neue Gewalteskalation.
Erst gestern hatten israelische Medien gemeldet Hamas feuere bereits wieder Qassam-Raketen, diesmal aber aufs offene Meer um die Reichweite der Geschosse zu testen. Nicht ob, sondern nur wann es wieder zu einem Zwischenfall kommt war die Frage die sich nach dem Ende des Gazakrieges am 18.Januar stellte. Ob Hamas hinter dem Anschlag heute Morgen steckt wird sich zeigen, es kann nur vermutet werden dass es sich um eine Racheaktion der militärischen Abteilung der Organisation handelt die eine Chance Israelis zu töten nicht einfach ungenutzt lassen wollte.
Wie man von Seiten der IDF darauf reagieren würde ist für die Militanten keine Überraschung, es sind die Gesetze der Regelmäßigkeit in Nahost, die unabdingbare Spirale von Aktion und Reaktion.
Entsetzt oder verblüfft dürfte darüber kein Beobachter sein, immerhin betonte Hamas stets, es handle sich nicht um eine offizielle Waffenruhe, eine arabische „Hudna“ (der eindeutige Begriff spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle), sondern nur um eine kurzfristige Einstellung der Kampfhandlungen, ein „Abschwächen der Angriffe“. In dieser Situation zeigt sich die oftmals uneinige Zusammenarbeit zwischen der Exil-Führung der Hamas, die traditionell zwar politisch-diplomatisch agiert, aber einen Hardliner-Kurs fährt der nicht auf Einsicht und Vernunft beruht sondern viel zu oft den Weg von Rache, Vergeltung und Provokation einschlägt. In Gaza selbst würde man sich wohl eher eine Phase der Entspannung und Ruhe wünschen, in der sich die Organisation selbst erholen, militärisch wieder aufrüsten und Wiederaufbau leisten kann. Aktionen wie der Anschlag auf die IDF-Patrouille heute wirken diesem Wunsch ganz klar entgegen und schaden Hamas in der jetzigen Lage mehr als dass sie der eindeutig angeschlagenen Gruppe nutzen.
Angesicht der recht chaotischen Situation im Gazastreifen muss aber auch in Betracht gezogen werden dass eine andere Organisation als Hamas hinter dem Vorfall stecken könnte. Islamischer Dschihad, naturgemäß weniger kompromissbereit und logisch agierend, das Popular-Resistance-Comittee (PRC Salahuddin-Brigaden), eine Gruppe bestehend aus ehemaligen Angehörigen von Dschihad, Hamas und Fatah oder auch noch extremistischere Islamisten wie beispielsweise die Al Qaida – anhängende Jaish al-Islam, die in den letzten Jahren häufiger im Nahostkonflikt auftrat, könnten die Bombe gelegt haben. Ebenfalls denkbar wäre eine provozierende Aktion der in Gaza verfolgten und schwächelnden Fatah und ihrer etlichen militanten Ableger, die darauf hoffen ein erneuter Krieg zwischen Hamas und israelischer Armee würde der herrschende Partei der Hamas endgültig den Todesstoß versetzen.
In Israel spielt die Täterschaft zunächst keine Rolle, Fakt ist dass eine palästinensische Bombe nach Abzug der IDF aus Gaza einen Israeli tötete. Vergeltung dafür folgte und wird in den nächsten Tagen weiter geübt werden. Jede Aggression aus Gaza heraus wird von Israels Armee mit Bestrafungsaktionen geahndet werden, wahrscheinlich sogar von bisher ungekannter Härte. Wer die Lektion der letzten Woche in Gaza nicht verstanden hat wird härteres zu spüren bekommen, eine Strategie mit System, jedoch ohne Logik.
EDIT: Die arabische Zeitung Al Ahram berichtete heute dass es kurz nach Beginn der Operation "Gegossenes Blei",Ende Dezember letzten Jahres eine Warnung Israels an Syrien gab. Über europäische Diplomaten ließ die israelische Führung an Syriens Präsident Assad wissen, dass, falls Hisbollah in den Konflikt mit der Hamas eingreifen und israelische Städte mit Raketen beschießen werde, die israelische Luftwaffe als Vergeltung Ziele in Damaskus angreifen werde. Eine ähnliche Warnung erhielt anscheinend auch der Hisbollah-Führer Sheikh Nasrallah. Von israelischer Seite wollte man jeden Zweifel auf Seiten der libanesischen Miliz und ihrer syrischen Unterstützung ausräumen, dass Israel nicht auch bereit wäre an zwei oder sogar drei Fronten gleichzeitig zu kämpfen um israelisches Leben zu schützen.Diese Drohung bzw. Signale in Richtung Beirut und Teheran dürften eine mögliche Erklärung sein weshalb Hisbollah sich nicht aktiv auf Seite der Hamas schlug und in Nordisrael eine zweite Kriegsfront eröffnete. Raketenangriffe aus dem Südlibanon heraus gab es trotzdem, wenn auch nicht von Nasrallah befohlen, sondern ausgeführt von palästinensischen Milizen, dennoch mit Wissen der Hisbollah die den gesamten südlichen Teil des Libanons in jeder Hinsicht kontrolliert und nichts was eine militärische Auseinandersetzung mit dem "zionisten Gebilde" (Israel) angeht dem Zufall überlässt. Im Moment erscheint Hisbollah stärker denn je in der libanesischen Innenpolitik, ihre Macht als Partei hat Ausmaße erreicht die man nicht riskieren möchte durch einen möglichen neuen Krieg mit dem jüdischen Nachbarn zu verlieren. Hamas dürfte enttäuscht gewesen sein von der Passivität und den halbherzigen Solidaritätbekundungen aus dem Libanon, in Teheran hätte man sicherlich gerne gesehen wie Israel mit einem Zweifrontenkrieg fertig werden würde.
Assads Interessen liegen im Moment wohl eher in einer Annhäherung an die Vereinigten Staaten und in der Verbesserung des Verhältnisses zur EU, eine militärische Auseinandersetzung mit Israel käme ihm jetzt sehr ungelegen, weshalb Hisbollah diesmal anscheinend von Damaskus an die Kette gelegt wurde.
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