Monday, January 26, 2009

Die Letzten ihrer Art

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In Sri Lanka stirbt eine Rebellenorganisation mit langer Tradition, kaum jemand im Westen nimmt Notiz davon. Dabei lohnt der Blick auf Asiens meist gefürchtete Terrororganisation - die Tiger von Sri Lanka.


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Kaum ein Tag vergeht ohne dass in den internationalen Nachrichten über eine der schrecklichsten, furchterregendsten Waffen der moderneren Menschheit berichtet wird. Spätestens seit dem Irakkrieg im Jahr 2003, in den Jahren zuvor bereits im Wochentakt aus Israel kommen die Meldungen über Selbstmordattentate, in seltenen Fällen gegen militärische Ziele, meist gerichtet gegen Zivilisten. „Waffe der Verzweifelten“, sagen einige, andere nennen es ein „feiges, hinterhältiges, grausames Verbrechen“. Der eigene Körper als Waffe, die Tötungskraft einer Bombe gepaart mit menschlichem Verstand wurde in den letzten 10-15 Jahren zur Taktik der Terroristen von Cassablanca über Beirut und Tel Aviv, Bagdad, Kandahar bis nach Bali, New York und London. Hunderte, wahrscheinlich tausende Menschen begingen so einen rituellen Selbstmord für die Nation, das Volk, aus persönlichen Gründen und natürlich für den selbstdefinierten Gott. „Sie (die Selbstmordattentäter) sind unsere F-16“, sagte einst der Hamas-Führer Abdel Aziz al Rantisi. Etliche junge Männer schickte seine Organisation seit Beginn der 2.Intifada im September 2000 in israelische Cafés, Restaurants, Busse, Discotheken und Fußgängerzonen. Von Gaza bis Jenin entwickelte sich ein regelrechter Märtyrerkult der eine ganze Generation von Palästinensern infizierte. Es herrschte nie ein Mangel an jungen Männern und auch Frauen die bereit waren als lebende Bomben in Israel Tod, Vernichtung und vor allem Angst und Terror zu verbreiten. Gelobt als die „Prinzen des Himmels“ feiert man in den Palästinensergebieten die Attentäter der zahllosen Anschläge, ihre Portraits säumen die Gassen der Flüchtlingslager und erwecken in der nächsten Generation den Wunsch nach dem Märtyrertod für Gott, Volk und Vaterland. Niemand wird jemals die Bilder der ausgebrannten Busse in den Straßen Israels vergessen, die in den Jahren der Intifada al Aqsa um die Welt gingen. Wie Walgerippe liegen sie in den Straßen, wurden zu Särgen für hunderte Israelis.
Doch auch wenn Hamas mit der Taktik der Selbstmordanschläge die Medien dominierte, danach abgelöst wurde durch die tagtäglichen Attentate der Al Qaida und anderer islamistischer Gruppen im Irak, bleibt die Methode selbst keine Erfindung der radikalen Islamisten. Um den Ursprung der modernen Selbstmordattentate als gezielte Kriegstaktik zu finden muss man sich nicht in die Flüchtlingslager von Gaza und Westbank, die Stadtränder von Fallujah oder in die Dörfer des Südlibanon begeben sondern in den stinkigen, tropisches Dschungel Sri Lankas.
Dort fand die Geburt der lebenden Bombe statt und ihre systematische Verwendung beginnt hier. Zu Beginn des ceylonesischen Bürgerkrieges Ende der 1970er Jahre zwischen der Volksgruppe der buddhistischen Singhalesen die die Oberschicht Sri Lankas darstellt und über die ethnische Gruppe der Tamilen (mehrheitlich Hindus, jedoch aus Muslime und Christen) herrscht, entwickelte sich im Norden der Insel eine Organisation deren Ziel es war einen souveränen, unabhängigen, sozialistischen Staat „Tamil Eelam“ zu errichten und sich somit vom Rest Sri Lankas abzuspalten. Unterstützt wurde diese Bewegung von der Mehrheit der unterdrückten, nach Unabhängigkeit strebenden Bevölkerung der Tamilen in Nord-Sri Lanka. Dank der Unterstützung aus Indien und anderen Staaten mit ethnisch tamilischer Bevölkerung entwickelte sich aus der sporadisch agierenden Freiheitsbewegung eine strukturierte, extrem hierarchisch organisierte Gruppierung mit dem Namen „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ kurz „LTTE“. Ihr Gründer Velupillai Prabhakaran entwickelte sich vom jungen Revolutionär und Rebellenführer zu einer Art Gottesfigur für seine Anhänger. Nach anfänglichen kleinen Angriffen gegen die Regierungspolizei, das Militär, die Ermordung und Entführung von Beamten und anderen Offiziellen des Staates gelang es der LTTE eine schlagkräftige Armee auszubauen die ab 1983 zum stärksten Gegner der ceylonesischen Regierung heranwuchs. Tausende Tamilen schlossen sich den „Tigers“ an, wurden militärisch gedrillt, bewaffnet und in Einheiten organisiert mit denen man schnell die Kontrolle über den gesamten tamilischen, also nördlichen Bereich Sri Lankas errang. Dabei agierten die LTTE wie eine reguläre Armee mit Infanterieeinheiten und sogar einer Seeflotte aus kleinen Kampfbooten. Im Jahr 1987 gründete die Führungsriege der Gruppe eine Spezialeinheit mit Namen „Black Tigers“ deren Aufgabe darin bestand Selbstmordattentate auszuführen. Am 05.Juli 1987 tötete der erste LTTE-Bomber in einem ceylonesischen Militärlager knapp 100 Soldaten der Regierungsarmee. Ihm folgten mehr als 350 weitere LTTE-Attentäter und Attentäterinnen (fast 50% waren junge Frauen) die neben Militärs und Polizisten auch den damaligen Präsidenten von Sri Lanka Premadasa und die indische Premierministerin India Gandhi ermordeten.
Über 70,000 Menschen, die meisten Zivilisten fielen dem Bürgerkrieg in Sri Lanka zum Opfer, viele davon durch den Terror der LTTE, die im Westen schnell ihr Image als Widerstandsorganisation verlor und heute sowohl von der EU (seit 2006) als auch von den USA als Terrorgruppe eingestuft wird. Man wirft ihr Kriegsverbrechen, die Verwendung von Kindersoldaten, Terror, ethnische Säuberungen, Waffen- und Drogenhandel, Geldwäsche, Geldfälscherei, Piraterie, organisiertes Verbrechen auch außerhalb Sri Lankas und Verbrechen an der tamilischen Bevölkerung vor, die im Laufe des Bürgerkrieges zu einer Geisel der LTTE wurde. Unterstützt von der finanzstarken tamilischen Exil-Bevölkerung, besonders aus Indien, und durch massive Aufrüstung zusammen mit einer fanatischen Ideologie die religiöse Züge aufweist, gelang es den Befreiungstigern schon Anfang der 1990er Jahre den nördlichen Teil der ceylonesischen Insel zu kontrollieren und einen Herrschaftsbereich aufzubauen indem eigene Gesetze, Polizei, Banken und eine nicht gewählte Führung regiert. Verzweifelt versuchte die Regierung in Colombo den Tigern Herr zu werden, was nie gelang.
Sri Lanka wurde 2004 von der gewaltigen Tsunami mit voller Härte getroffen. Weite Teile des tamilischen Nordens wurden überschwemmt, die Küstenregion zerstört, Fischerdörfer und Häfen vernichtet. LTTE musste es zähneknirschend hinnehmen dass verschiedene Hilfsorganisationen in ihren Machtbereich eindrangen um dort humanitär zu helfen. Ein Großteil der Spendengelder für diesen Teil Sri Lankas dürfte durch LTTE-Hände gegangen sein und ist damit im Schlund der Organisation verschwunden, kam nie bei den hilfsbedürftigen Tamilen an. Natürlich liegt auch die Vermutung nahe dass die Regierung versucht hat im Zuge der Tsunami-Hilfe LTTE zu unterwandern, in ihr Gebiet einzudringen und Geheimdienstarbeit getarnt als NGOs zu verrichten.
Das neue Jahrtausend hatte für Sri Lanka mit einem Aufatmen begonnen, die Gewalt des jahrzehntelangen Bürgerkrieges war abgeklungen, LTTE baute ihren Einflussbereich im Norden aus, dieser wurde zur Sperrzone für Touristen und Journalisten erklärt. Lange sollte dies nicht anhalten, denn schon kurz nach der Tsunami-Katastrophe gab es wieder erste Angriffe der LTTE gegen srilankisches Militär, welches sich in den folgenden Jahren vermehrt Gefechte mit den Rebellen lieferte, dabei einige Erfolge verbuche konnte was sicher auf die ausgereiftere Satellitentechnik und die Unterstützung der US-Regierung im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“ zurückzuführen ist. Eine Schlacht nach der anderen gewannen die Regierungstruppen gegen die einst so gefürchteten Tiger. LTTE verlor Kampfboote, Ausbildungslager, hunderte Kämpfer, Material und in erster Linie sank die Kampfmoral. Aus ersichtlichen Gründen ist Sri Lankas Bevölkerung den ewigen Bürgerkrieg leid, freiwillig tritt kaum noch jemand den LTTE bei, Kinder und Jugendliche werden in den Krieg gezwungen und als Selbstmordbomber missbraucht. Diese Waffe bleibt den Tigern noch und sie nutzen sie wieder vermehrt in den letzten zwei bis drei Jahren um Angst und Schrecken zu verbreiten. So geschwächt LTTE heute sein mag, dem Attentäter bleibt das Überraschungsmoment welches immensen psychologischen Effekt hat, egal in welchem Land und in welcher Kultur.
Zum Jahreswechsel konnten die Regierungstruppen nun entscheidende Städte am sogenannten „Elephant-Pass“ zwischen der Hauptinsel und der Halbinsel Jaffa erobern und die LTTE zurückdrängen bis auf ihre Hauptstadt Mullaittivu, die sie 1996 eingenommen hatten und seitdem dort ihre Kommandozentrale unterhalten. Vorgestern nun konnte die „Sri Lankan Army“ genau diese Festung für sich einnehmen. Nach stundenlangen Gefechten in einem 40km langen Dschungelabschnitt teilte Lt. Gen. Sarath Fonseka am Sonntag in einer Fernsehansprache mit die LTTE-Hochburg sei gefallen. Augenzeugen berichteten von einem kleinen Flugzeug welches Mullaittivu in der Nacht verlassen habe. Vermutet wird dass sich an Bord der einmotorischen Maschine, die zur LTTE eigenen Flotte von Zwerg-Bombern (umfunktionierte, einmotorige Leichtflugzeuge) gehört, der heilige Führer und Gründer der LTTE, Velupillai Prabhakaran befand. Ceylonesische Medien berichten er sei höchstwahrscheinlich auf dem Weg ins Ausland, Behörden in Malaysia, Thailand und Vietnam sind alarmiert.

Mit der Flucht des großen Anführers, der den tamilischen Selbstmordattentätern vor ihrer Mission ein „heiliges Abendmahl“ und ein Foto mit ihm gewährte und somit zur göttlichen Führerfigur, einem Sektenführer, aufstieg der sich in der Öffentlichkeit rar machte, ist das Ende der LTTE als herrschende Rebellenbewegung eingeleitet. Die Tiger sterben aus, ihre Führung wird in ceylonesischen Gefängnissen landen, oder getötet werden. Einige werden aus dem Exil heraus versuchen den Krieg gegen die Regierung weiterzuführen. Militärisch sind die LTTE besiegt, ihre Ära geht zu Ende, eine Ära der Gewalt und des Krieges. Wie die namensgebenden Raubtiere stehen die "Tigers of Sri Lanka" kurz vor dem Aussterben…eine gute Nachricht für das srilankische Volk.

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