Thursday, August 19, 2010

Israels kleine Abu Ghraibs



Israelische Soldaten posieren für ein "Trophäenfoto"

E
den Abargils Fotoalbum auf ihrer Facebook-Seite klang zunächst recht harmlos: "Army...the best time of my life". Die junge Israeli wollte Freunden und Bekannten zeigen, wie sehr sie ihren 22monatigen Wehrdienst in den "Israeli Defense Forces" (IDF) genossen hat. Viele Fotos zeigen Abargil in komischen Posen, bei neckischen Spielen mit Kameraden und beim Grimassenschneiden.
Doch mindestens zwei Fotos erregten vor wenigen Tagen das Interesse der israelischen Medien. Sie zeigen IDF Lieutenant Eden Abargil posierend neben gefesselten Palästinensern, denen die Augen verbunden wurden.

Von einem Einzelfall spricht nun das israelische Militär. Eine junge Soldatin, die verantwortungslos, geschmacklose Dokumente ihrer Armee-Zeit öffentlich machte. Alltäglich seien solche Aktionen innerhalb der israelischen Streitkräfte keinesfalls, betonen die IDF-Sprecher. Anders sieht das die Menschenrechtsorganisation "Breaking the Silence", die 2004 über 700 israelische Soldaten und Veteren zu ihren Einsätzen in den Palästinenser-Gebieten befragt hat. Die Interviews dokumentieren auf erschreckende Weise, welche moralischen Abgründe sich stellenweise auch in Israels Militär auftun.

"Breaking the Silence" errang im Frühjahr 2009 einige Aufmerksamkeit, als die Gruppe israelischen Soldaten Erfahrungsberichte und Geschichten von angeblichen Kriegsverbrechen während der Gaza-Offensive "Operation Cast Lead" entlockte. Damals sollen Zivilisten als Schutzschilder gegen Hamas-Kämpfer eingesetzt worden sein. Israelische Soldaten hätten Teenager in verminte Häuser geschickt, so ein Vorwurf von "Breaking the Silence". Zudem hätten Scharfschützen berichtet, sie seien gezielt darauf gedrillt worden Zivilisten in Gaza zu erschießen.



Nach der Veröffentlichung von Eden Abargils Fotos am Wochenende, verschafft sich "Breaking the Silence" nun erneut Gehör. Die Facebook-Fotos der jungen Soldaten, die grinsend vor gefesselten greisen Palästinensern posiert, seien nur "die Spitze des Eisberges", so die Mitarbeiter von "Breaking the Silence".
Sie sei geschockt gewesen, so ein Sprecher der Menschenrechtsgruppe, als die IDF behauptete, Abargils Fotos seien "isolierte Einzelfälle". "Wir haben solche Fotos seit sechs Jahren immer wieder präsentiert", so Yehuda Shaul.

Gleichzeitig veröffentlichte "Breaking the Silence" weitere Aufnahmen der vergangenen Jahre, in denen zu sehen ist, wie israelische Soldaten vor palästinensischen Gefangenen, und offenbar auch vor schwerverletzten und toten Palästinensern posieren. Ein Bild erinnert an ein Trophäenfoto - drei bewaffnete israelische Soldaten knien stolz hinter der Leiche eines palästinensischen Mannes.

Mindestens eintausend solcher Aufnahmen will "Breaking the Silence" besitzen. "Die Reaktionen der letzten Tage zeigen, dass sich niemand über die Realitäten der Besatzung im Klaren ist", erklärte BtS-Sprecher Shaul. Seine Gruppe habe bereits vor Jahren in Tel Aviv ähnliche Fotos ausgestellt, damals, in der Phase der palästinensischen Selbstmordanschläge, habe jedoch kaum jemand davon Notiz genommen.

Die Tatsache, dass die IDF ein sehr junges Militär sind, so sagen Beobachter sei wohl ausschlaggebend für das unverantwortliche Handeln der Soldaten und Soldatinnen. Israelische Männer dienen ab ihrem 18 Lebensjahr mindestens drei Jahre in der Armee, Frauen sind zu einem 22monatigem Wehrdienst verpflichtet. Den jungen IDF-Soldaten scheint die Tragweite ihrer lustig gemeinten Fotodokumente nicht klar zu sein. In Zeiten von Facebook, Twitter und MySpace werden die Momentaufnahmen einer langen Zeit im Dienste und zur Verteidigung eines ständig bedrohten Staates, wie Lauffeuer verbreitet.

In Israel hat die Diskussion über Moralverfall und Menschenverachtung innerhalb der Streitkräfte gerade erst begonnen. Von einem echten "Abu Ghraib" möchte niemand sprechen. Was auf den Fotos zu sehen sei, seien vielmehr Kinder, denen jeglicher Respekt und auch die oft innerhalb der IDF so hochgelobte Disziplin fehle.
Unweigerlich stellt sich dennoch die Frage: Findet durch die Besetzung palästinensischer Gebiete, durch die jahrelange Terrorangst und die andauernden Feindseligkeiten nicht eine Abstumpfung statt? Wird der palästinensische Gefangene nicht entmenschlicht durch die Order von Oben Terror gegen den israelischen Staat um jeden Preis zu unterbinden?

"Was soll daran falsch sein? Ich versteh das nicht", fragte Lieutenant Abargil vorgestern im israelischen Armee-Radio, "Es ist keine Gewalt auf den Bildern zu sehen." Was nicht bedeutet, dass es keine Gewalt gab.

Die Soldatin deren Facebook-Fotos den medialen Sturm der Entrüstung losgetreten haben, hat eine eigene Erklärung: "Die Leute werden immer irgendetwas finden, was sie gegen Eretz Israel sagen können - wir sind kein Volk mit vielen Freunden und die Leute werden uns bei kleinster Gelegenheit angreifen."

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