Sunday, August 9, 2009
Ogaden - das nächste Darfur
Ein Völkermord geschieht selten über Nacht. Gewaltausbrüche, Mord, Vergewaltigung und Vertreibung können innerhalb weniger Tage oder Wochen stattfinden - siehe Ruanda - aber auch hier finden sich im Vorfeld Anzeichen die auf die bevorstehende Katastrophe hindeuten. Der Weg in den Genozid beginnt in der Regel mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit vom Geschehen. Wird eine Region von internationalen Beobachtern und den Medien abgeschottet kann dies als ein erstes Indiz für Kriegsverbrechen in großem Maßstab gewertet werden.
Im Juli 2007 erhielt das Internationale Rote Kreuz von der äthiopischen Regierung ein Ultimatum von einer Woche um alle Projekte zu beenden und alle Mitarbeiter aus Ogaden abzuziehen. Bis zum September 2007 mussten alle Hilfsorganisationen inklusive der UN-Vertretungen die Region verlassen. Internationalen Medien wurde mit sofortiger Wirkung der Zugang verwehrt.
Seitdem findet am Horn von Afrika, fast unbemerkt und konsequenzlos, ein Konflikt statt der in seiner Form mehr und mehr den Geschehnissen im sudanesischen Darfur gleicht. Der Unterschied ist, die Weltgemeinschaft hat sich Darfur zur moralischen Prüfung gemacht, in Ogaden scheint sie blind zu sein.
Dabei sollte man dieser Krisenregion am Horn von Afrika nicht nur aus humanitärer Sicht mehr Aufmerksamkeit schenken, sondern deshalb weil sie zu einem Sicherheitsrisiko für eine ganze Region und zur geopolitischen Herausforderung für die neuen Wirtschaftsgroßmächte zu werden droht.
Ogaden ist ein umkämpften Territorium zwischen der Republik Somalia, im Osten, und Äthiopien im Westen. Es hat in etwa die Größe der Bundesrepublik Deutschland und ist als
sogenannte “Somali-Region” offiziell Teil des äthiopischen Staaten. Im Norden grenzt das Gebiet an Dschibouti, im Süden an Kenia. Die knapp 5 Millionen Menschen, die derzeit in Ogaden leben, gehören ethnisch mehrheitlich zum Volk der Somali, leben von der Viehzucht und betreiben ein nomadisches Leben in einer wasserarmen, unwirklichen Gegend. Anders als der gesamtäthiopische Staat leben in Ogaden sunnitische Muslime.
Bereits seit dem 15.Jahrhundert bestehen die Bestrebungen der Menschen in Ogaden, sich von der Herrschaft Äthiopiens zu lösen. Verschiedene muslimische Sultanate leisteten über Jahrhunderte den christlichen Kaiserreichen Äthiopiens Widerstand. Nach der Kolonialzeit und der Einführung des Kommunismus in Äthiopien teilten die Herrscher von Addis Abeba die östlichste Provinz Ogaden in zunächst zwei dann in sechs
Sektoren auf um die abtrünnige Region besser kontrollieren zu können. Somalias ehemaliger Diktator Siad Barre beanspruchte das Territorium als Teil “Groß-Somalias” und unterstütze deshalb seit den 1970er Jahren bis zu seinem Sturz 1991 die Unabhängigkeitsbestrebungen in Ogaden. Dort schlossen sich nomadische Stämme zur “Western Somali Liberation Front”
(WSLF) zusammen und führten einen bewaffneten Kampf gegen die äthiopische Vorherrschaft.
Provoziert durch Angriffe der WSLF, unterstützt durch somalische Einheiten, kam es 1977 zum offenen Krieg zwischen der Provinz und Äthiopien. Ogadenische Rebellen eroberten die strategisch wichtigen Städte Harar und Jijiga an der Grenze zu Äthiopien und zwangen die äthiopischen Truppen zunächst zum Rückzug. Zur Unterstützung der kommunistischen Diktatur von Addis Abeba entsandten die Sowjetunion, Kuba und die Volksrepublik Süd-Jemen Soldaten und Material nach Äthiopien.
Die arabischen Golfstaaten ihrerseits griffen den Rebellen durch finanzielle Unterstützung Somalias unter die Arme. Panzer, Kampfflugzeuge und schwere Artillerie kam zum Einsatz.
Am Horn von Afrika entbrannte ein Stellvertreterkrieg in Miniatur-Form.
1978 schließlich eroberte Äthiopien die besetzten Städte und schließlich die komplette Region Ogaden zurück. Insgesamt 6,000 Soldaten und Kämpfer auf beiden Seiten soll diese bewaffnete Auseinandersetzung letztendlich das Leben gekostet haben, darunter auf äthiopischer Seite auch 400 kubanische und 33 russische Söldner.
Seit jener Zeit kommt es immer wieder zum Aufflammen des Widerstandes in Ogaden, den Äthiopien regelmäßig blutig niedergeschlagen hat. Ein offizieller Friedensvertrag 1988 verpflichtete die Rebellen der 1984 neu gegründeten “Ogaden National Liberation Front”
(ONLF) zur Einhaltung einer Waffenruhe und das Nachbarland Somalia zur Beendigung der Unterstützung für die Unabhängigkeitskämpfer.
Nach Ende des äthiopischen Bürgerkrieges erlangte die ONLF weitgehende Kontrolle über die wichtigsten Gebiete Ogadens.
Der jüngste Konflikt in der Krisenprovinz brach 2007 aus. Im Jahr zuvor war Äthiopien auf Druck Amerikas in Somalia einmarschiert um das dortige Bürgerkriegs-Chaos zu beenden.
Die Besatzung durch die christlichen Truppen der äthiopischen Armee führte jedoch zu einem größeren Aufflammen der Gewalt und einer islamistischen Widerstandsbewegung, angeführt von den “Islamic Courts” und ihrem militärischen Armee, der Al Qaida verbündeten Al Shabaab Miliz. Ogadens Rebellen erklärten bereits vor dem Einmarsch Äthiopiens in Somalia man werde das somalische Brudervolk unterstützen und das Militärangreifen.
Als Äthiopiens Armee im Frühjahr 2007 in schwere Gefechte mit den somalischen Islamisten verwickelt war, griffen in Ogaden Kämpfer der ONLF am 24.April eine Öl-Förderanlage in Abola an. 65 Äthiopier und neun chinesische Arbeiter kamen bei den Angriffen ums Leben.
Diktator Meles Zenawi nahm diesen Vorfall zum Einlass für eine großangelegte Militäroffensive gegen die Aufständischen in Ogaden. Deklariert als “Anti-Terror”-Einsatz riegelte das Militär die Provinz ab, ließ keine humanitären Organisationen oder Vertreter der
Medien nach Ogaden. Es drangen dennoch Berichte nach draußen, äthiopische Truppen verübten Racheaktionen und Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Unbeachtet von westlichen Medien griff die
Luftwaffe Dörfer an, raubte den Bauern ihr Vieh, erpresste Schutzgelder, verschleppte wahllose Personen, verprügelte, folterte und vergewaltigte mutmaßliche Unterstützer der ONLF. Bis zum Jahresende 2007 berichteten Augenzeugen aus der Region, Regierungsflugzeuge hätten dutzende Zivilisten bei Teppich-Bombardements auf Dörfer getötet, es gebe Sammellager und Gefängnisse in denen die Armee auch Minderjährige
festhalte und foltere. Zu dieser Zeit nannte der UN-Menschenrechtsbeauftragte John Holmes die Situation “ernst, aber noch nicht katastrophal”.
Human Rights Watch jedoch warnte vor chaotischen Zuständen die an Völkermord gleichen. Beobachter sehen im Handeln der äthiopischen Armee eindeutig eine Form von ethnischer Säuberung. Man betreibe gezielt eine Vertreibung von Zivilisten, terrorisiere gezielt die
Bevölkerung um sie zur Flucht zu bewegen. In Korahe, Werder und Degehabur, Gebieten in denen die ONLF keine Anhängerschaft hat, griffen Truppen Dörfer und Siedlungen an, zwangen die Menschen dazu Richtung Süden zu fliehen.
Äthiopiens starker Mann Zenawi erklärte eine humanitäre Krise “hat es nicht gegeben, gibt
es nicht und wird es nicht geben”, während Untersuchungen von Human Rights Watch
ergaben dass unter der äthiopischen Besatzung nicht nur Menschenrechtsverletzungen geduldet sondern angeordnet werden. Mädchen ab dem Alter von 13 Jahren würden von ganzen Gruppen von Soldaten vergewaltigt, es gebe Berichte über verschleppte und ermordete Familienväter und männliche Teenager, Prügelstrafen und Diskriminierung an Checkpoints und in Auffanglagern des Militärs seien Alltag.
Militärisch sei das Vorgehen gegen die Rebellen erfolgreich heißt es aus Addis Abeba, man habe mehrere hundert “Terroristen” der ONLF zur Strecke bringen können. Die Aufständischen wiederum brüsten sich damit bis zu 1,000 äthiopische “Besatzer” getötet zu haben.
Was genau geschieht in Ogaden?
In seiner Form, so betonen Menschenrechts-Beobachter, sei die Region ein "Mini-Darfur". Ziel der äthiopischen Intervention sei es die Aufstandsbewegung der Nomadenstämme niederzuschlagen, Teile Ogadens ethnisch zu säubern und die Kontrolle der Zentralregierung auf die rohstoffreiche Region auszudehnen. Dazu begehen die Soldaten von Premierminister Zenawi offensichtlich Kriegsverbrechen.
Es sind glaubhafte Berichte über Diskriminierung, Vertreibung, Folter, Verschleppung, Vergewaltigungen und Morde. Ähnlich wie in Darfur setze die Regierung die Luftwaffe ein um die ogadenischen Dörfer und Zeltstätten zu vernichten. Flüchtlinge berichten zudem von Sammelstätten, sogenannten "Ogaden-Prisons", in denen völlig willkürlich ausgewählte Personen inhaftiert und misshandelt werden würden.
Warum reagiert Äthiopien in Ogaden so brutal?
Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckte man am Horn von Afrika große Öl- und Gas-Vorkommen. Diese fast ungenutzen Rohstoffreserven befinden sich neben den Offshore-Feldern besonders in der Region Ogaden. Bereits 2004 hatte ein chinesischer Konzern Förderrechte von der äthiopischen Regierung erworben, im April 2007 kam es zum Vertrag (in nicht genannter Höhe) mit dem malaysischen Öl- und Gas-Riesen Petronas.
Im 350,000 km² großen"Ogaden Becken" vermuten Geologen riesige Vorkommen vor allem an Erdgas, diese möchte Äthiopiens Regime so schnell wie möglich zu Geld machen, dafür muss das Gebiet sicher für ausländische Arbeiter sein und die Förderanlagen müssen vor Rebellenangriffen geschützt werden. Aus diesem Grund wollte die Regierung im Jahr 2007 die ONLF vernichtend schlagen, ganz Ogaden unter Kontrolle bringen und militärischen Schutz für die asiatischen Vertragspartner leisten.
Was will die ONLF?
Die ONLF kämpft nach eigener Aussage für ein autonomes Ogaden als Teil von "Großsomalia", dies bedeutet eine Loslösung von Äthiopien und eine Angliederung an Somalia. Politisch fühlen sich die Stämme von Ogaden nicht in Äthiopien vertreten, sie sehen sich als ausgegrenzte, verfolgte Minderheit die gezielt durch die christlichen Äthiopier diskriminiert wird.
Wer unterstützt die Konfliktparteien?
Auf der einen Seite erhält Äthiopien als wichtiger Verbündeter Amerikas am Horn von Afrika jährlich Millionen an Finanzhilfe, logistischer und materieller Unterstützung. Der Einmarsch 2006 im Bürgerkriegsland Somalia wurde von der Bush-Administration durch Satellitenaufklärung, dem Einsatz von Drohnen und sicher auch finanziell unterstützt. Im äthiopischen Regime sah Washington lange ein wirksames Werkzeug gegen die islamistische Bedrohung aus Somalia. Dadurch dass Äthiopien in die Konflikte mit muslimischen Rebellengruppen verwickelt wird, wird zudem ein Übergreifen der somalischen Gewalt Richtung Süden auf Kenia verhindert.
Die ogadenischen Parteien der ONLF und anderer Gruppierungen wiederum erhalten Schützenhilfe, Gelder, Waffen und diplomatische Unterstützung von Seiten der Erzfeinde Äthiopiens - Somalia und Eritrea.
Somalias Übergangsregierung sieht sich im eigenen Land einer islamistischen Opposition gegenüber deren Aktivitäten sie lieber in Richtung Norden gen Äthiopien gerichtet sehen würde. Diejenigen Kräfte in Somalia die bereits das Eingreifen der Äthiopier in den Bürgerkrieg als Angriff sahen, verlangen nach einem freien, unabhängigen islamischen Staat Ogaden, eventuell als Teil Großsomalias.
Eritreas Interessen liegen ebenfalls darin Ogaden dem äthiopischen Einfluss zu entziehen, dafür fungiert man als Übermittler von Waffen, Militärgerät und Munition. Glaubt man Gerüchten aus der Region so trainieren die Kämpfer der ONLF seit Jahren auf eritreischem Territorium und werden von Offizieren der somalischen Milizen und Eritrean Army militärisch gedrillt.
Auch wenn das Schlagwort des Dschihadismus mit Bezug auf die nomadischen Stammeskämpfe der Ogaden vermieden werden sollte, darf nicht außer Acht gelassen werden dass auch die radikale Islamisten von Somalia, über den Jemen bis nach AfPakistan im Kampf der ogadenischen Rebellen einen Dschihad gegen die verhassten äthiopischen
Kreuzritter sehen. Sowohl in Botschaften Ayman al Zawahiris als auch in Aussagen anderer Al Qaida Größen fand Ogaden bereits Erwähnung. Sollte sich in Somalia eine islamistische Basis für das Terrornetzwerk etablieren würden die Shabaab-Mujaheddin ihren "Heiligen Krieg" auch in das nördliche Ogaden tragen und eine rohstoffreiche Region ernsthaft destabilisieren.
Afrika wird in den kommenden Jahren eine führende Rolle in der US-Außenpolitik zukommen und auch Europa kann nicht länger die Augen davor verschließen dass der schwarze Kontinent ein wichtiger Rohstofflieferant, potentieller Absatzmarkt und wirtschaftlich stetig wichtiger werden wird. Selten bleiben die Regionen in denen Öl, Gas und Edelmetalle gefunden werden von Bürgerkrieg, Diktatur und Gewalt verschont.
Im Fall Ogaden hat die Weltgemeinschaft noch nicht realisiert dass es dort wiedereinmal zu einem Genozid kommen wird, vom dem man bei der Gründung der UN hoffte ihn nie wieder thematisieren zu müssen. Amerika wiegt am Horn von Afrika ab, lässt sich mit zwielichtigen Verbündeten ein, die Menschenrechte mit Füßen treten. Vor allem aber scheint man sich von den chinesischen Ambitionen ausstechen zu lassen Afrika zur wirtschaftlichen Goldgrunde zu machen. Der Volksrepublik China bietet sich angesichts der blutigen Niederschlagung des Ogaden-Widerstandes kein Grund zum Protest, es geht um knallharte ökonomische Interessen. In Darfur entschied sich Washington, wenn auch halbherzig, den Fall des pro-chinesischen Öl-Förderers Sudan zum Präzidenzfall für Völkermord im 21.Jahrhundert zu machen, Ogaden ist noch nicht auf der Agenda. Der Konflikt betrifft 5 Millionen Afrikaner in einer bitterarmen Region der Erde die nur durch den somalischen Bürgerkrieg und Piraterie Schlagzeilen macht. Noch einen "failed-state" kann sich dieser Teil der Welt nicht leisten, vielleicht auch deshalb lässt man die Kriegsverbrechen und Brutalität des äthiopischen Regimes geschehen.
Noch will niemand sehen dass daraus mehr erwachsen könnte als nur ein neuer Stellvertreterkrieg zwischen Eritrea, Somalia auf der einen und Äthiopien auf der anderen Seite. Äthiopien als einer der ärmsten Staaten der Erde ist auf Ogaden als Rohstoffquelle dringend angewiesen und wird das Gebiet nicht kampflos in die Unabhängigkeit entlassen.
Die Menschen von Ogaden werden zerrieben zwischen dem Rohstoffhunger der Weltmächte und den Machtspielen der Armenhäuser Afrikas.
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