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Friday, January 29, 2010

Was willst du uns sagen, Osama?


Al Jazeera hat es nicht leicht. Seitdem der islamistische Terrorismus zur medial erscheinend größten Gefahr für die Menschheit mutiert ist, wartet der arabische TV-Sender in regelmäßigen Abständen mit exklusivem Bild- und Tonmaterial aus der Dschihad-Szene auf. Nicht selten handelt es sich dabei um Video- oder Audiobänder des Terrorpaten, Osama Bin Laden, persönlich.
Kurz nach 9/11 begann eine Flut von Bin Laden-Videos über Al Jazeera zu laufen. Fans wie Gegner schienen an den Lippen jenes charismatischen Saudis zu hängen, der aus seinem Höhlenversteck in Tora Bora beschwor, dieser Krieg werde bis zum Sieg des Islam über die ganze Welt geführt.

Für Al Jazeera äußerte sich der vermeintlich "gute Draht" zu al Qaida einerseits erfreulich. Die Quote stieg an, der Name des Senders wurde im Westen bekannt und ist seitdem Synonym für die muslimische bzw. arabische Stimme im Mediendschungel.
Auf der anderen Seite verhöhnten vor allem die USA Al Jazeera als Propagandasender. Die immer wieder ausgestrahlten Bilder leidender Muslime in Gaza, Afghanistan, Irak und anderswo ließen den Eindruck erwecken es handle sich lediglich um eine arabische Fox-News-Kopie. Die exklusiven Bin Laden Botschaften verstärkten dieses Negativ-Image zusätzlich.

Nun sind fast zehn Jahre ins Land gegangen, der al Qaida Führer sitzt weder hinter amerikanischen Gardinen noch ist sein Leichnam durch die B-52 Bomber oder durch CIA gesteuerte Predatordrohnen pulverisiert worden. Bin Laden lebt und hat er neuerdings wieder Mitteilungsbedarf. Als Sprachrohr wählte er diesmal nicht - wie in den Jahren zuvor - die einschlägigen Internetforen, sondern er wagte den Schritt zu Al Jazeera.

Nachdem er sich im September 2009, kurz vor der Bundestagswahl mit deutschem Untertitel aus dem Internet zu Wort gemeldet hatte, war es still geworden. Der 9/11 Jahrestag 2009 verstrich ohne dass Bin Laden in einem neuen Video zu sehen war. Lediglich eine verschwommene Gestalt in einem unscharfen al-Qaida Propagandafilm aus Waziristan ließ die Gerüchteküche wieder kurzzeitig brodeln. War dort Bin Laden zu sehen oder doch nur ein weißbärtiger, pakistanischer Dschihad-Veteran?

Am vergangenen Wochenende brach Bin Laden das Schweigen. Al Jazeera erhielt ein neues Tonband, nur knapp unter zwei Minuten lang, und strahlte es in nahezu voller Länge aus. Direkt und klar wie selten warnte er darin die USA vor neuem Terror, lobte den Möchtegern-Märtyrer von Detroit und forderte Präsident Obama auf den Nahostkonflikt zu lösen um endlich Sicherheit für die westliche Welt zu gewinnen.

Doch dabei beließ es Bin Laden. Er legte nach und so präsentierte Al Jazeera heute ein zweites Audiotape. Zur Überraschung vieler Beobachter verzichtete Bin Laden diesmal auf die Dschihad-Propaganda, auf die Kriegsrhetorik und Hasstiraden. Der Klimawandel, seine Ursachen und das amerikanische "Nichtstun" waren Thema seiner Ansprache.

Experten wie Hobby-Analysten rätseln: Was will der meistgesuchte Mann der Welt seinen Freunden und Feinden mitteilen? Warum die schnelle Abfolge der Botschaften, warum diese Thematik, warum jener Zeitpunkt?

Die erste Botschaft - Terror für Bush 2.0

Fest steht, Bin Laden will das Jahr 2010 nicht beginnen ohne sich zu Wort zu melden. Vorrangiges Ziel der ersten Botschaft dürfte dabei sein, zu zeigen:

1. Ja, ich lebe noch.

2. Ja, der Flugzeugattentäter Umar Abdulmutallab war unser Mann

3. Es wird weiteren Terror geben

4. unsere Ziele und unser Angebot ("eure Sicherheit für unsere Sicherheit") ändern sich nicht

5. Obama ist Bush 2.0

Interessant sind weniger die Themen, die der al Qaida Chef anspricht, sondern vielmehr jene, die er kommentarlos weglässt. Er nennt explizit ein freies Palästina als Bedingung für einen Waffenstillstand, erwähnt dabei keine der anderen Regionen in denen muslimisches Blut fließt. Grund hierfür: mit dem Leid der Palästinenser lässt sich leicht Sympathie gewinnen. In den Straßen von Gaza gab es nach der ersten Tonbandbotschaft Zustimmung für Bin Laden. Wenigstens einer, so schienen viele zu denken, denkt noch an uns.

Noch ein weiterer Fakt dürfte ausschlaggegebend gewesen sein, Palästina herauszupicken: der Nahostkonflikt wartet weiterhin auf eine Lösung. Obama konnte trotz anfänglicher Bemühungen so gut wie nichts erreichen. Der Siedlungsbau schreitet fort, Hamas erkennt den Judenstaat weiterhin nicht an, Ägypten baut unterirdische Stahlbarrikaden um den Menschen in Gaza den Schmuggel zu erschweren...kurzum, es sieht schlecht aus für Nahost.

Die zweite Botschaft - Osama der Klimaretter?

Warum aber widmet Bin Laden der globalen Erwärmung eine eigene Audiobotschaft? Was ist so wichtig daran dass sich der al Qaida Führer um das Weltklima sorgt?
Wieder ist Sympathie die Antwort. Der fanatische Gotteskrieger, der die Welt mit seiner mittelalterlichen Sharia-Anwendung unterjochen und zum Islam zwingen möchte, spielt den Klimaretter? Nein, tut er nicht, aber er lässt durchblicken dass auch er in seinem Versteck irgendwo in den Berghängen Waziristans, nicht unter Realitätsverlust leidet.

"Seht hier, ich bin doch von dieser Welt, und diese Welt leidet am Mensch-gemachten Klimawandel" - das soll herausgelesen werden aus dem jüngsten Tonband. Dass Bin Laden dabei die USA als Hauptverursacher für die globale Erwärmung ausmacht, dürfte niemanden überraschen. Man muss kein Dschihadist sein um zu diesem Schluss zu gelangen.
Die verbale Peitsche schwingt Osama Bin Laden hier aber hauptsächlich gegen Bush junior, der sich weigerte Kyoto zu unterzeichnen, auch weil es in seinem Gedankenspiel gar keiner Änderung in der Klimapolitik bedarf.
Nach evangelikaler Ansicht macht Umweltschutz wenig Sinn, denn bald wird ohnehin Christus wiederkehren und alles auf Erden richten.

Barak Obama bekommt von Osama die Ohrfeige weil er der "neue Agent" der Großkonzerne ist, die sowohl für den Klimawandel als auch für die Globalisierung und ihre Folgen verantwortlich seien.
Weil sich auch unter Obama - dem man dazu noch den Friedensnobelpreis verliehen hat - nichts ändere, so der al-Qaida Führer, bleibe als einzige Waffe gegen die "menschenverachtenden Folgen der Globalisierung" nur der Boykott des US Dollar. Ihn solle man "so schnell wie möglich" als internationale Leitwährung abschaffen, fordert Bin Laden. Dies würde nicht ohne Wirkung bleiben.

Zusätzlich präsentiert sich Bin Laden als gebildeter Leser amerikanischer Literatur. Noam Chomsky, Politologe, Philosoph und US-Kritiker, habe Recht, so der Terrorchef, wenn er die Politik der USA mit der, der Mafia vergleicht.

Erneut die Frage: gäbe es viele Nicht-Muslime im Westen, die Bin Laden hier widersprechen würden? Amerika der Haupt-Klimasünder? Amerika DIE treibende Kraft der Globalisierung? Amerikanische Konzerne Nr. 1 Ausbeuter der Welt?
Wer genau hinsieht erkennt, dass Osama eigentlich ATTACK Anhänger ist. Mit Sturmmaske und Palästinensertuch könnte er mit dieser Einstellung auch Flaschen auf Polizisten bei G8 Gipfeln schmeißen.

Ohne religiöse Floskeln, erstaunlich kurz, präzise und direkt bastelt der Osama Bin Laden an einem neuen Image. Al-Qaida als teufliches Konstrukt einer perversen, pseudo-religiösen Ideologie soll auf einen anderen Zug aufspringen: Globalisierungsgegnerschaft- und Antiimperialismus.
Der Feind bleibt der alte, die Ziele sind diesselben wie 2009 oder 2001, das Motiv erhält eine Komponente, die auf eine gefährliche Stimmung zurückgreift. In ihr vereint Bin Laden Kritik am Versagen Barak Obamas, an den Ursachen von Finanzkrise, Folgen von Globalisierung und Klimawandel und der US-Außenpolitik gnerell.

Aus dem Weißen Haus hieß es dazu al Qaida sei in der Defensive. . Der Präsident persönlich interpretierte Bin Laden´s jüngste Äußerungen als Zeichen der Schwäche. Dies dürfte etwas naiv und zu kurz gedacht sein. Hier war wohl der Wunsch Mutter des Gedanken. Von "Schwäche" zu sprechen wirkt fast schon humorvoll, bedenkt man dass ein dunkelhäutiger Millionärssohn nach einer Gehirnwäsche in einem jemenitschen Terrorlager, mit einer Unterhose voller Militärsprechstoff in einem Anschlussflug aus Europa, über den USA am Weihnachtstag beinahe 300fachen Mord im Namen al-Qaidas begehen konnte.

Monday, November 9, 2009

Der Krieg in der Heimat - der Fall Nidal Malik Hassan


Die Seite ist dicht. Bis heute Nachmittag fand sich auf dem Blog des jemenitischen Predigers Imam Anwar al Awlaki noch ein Eintrag, der im texanischen Fort Hood, und nicht nur dort, die Gemüter erregen dürfte. "Nidal Hassan hat das Richtige getan" - titelte der Sheikh, der lange Jahre an der US-Ostküste gelebt hat und anscheinend trotz seines Hasses auf Amerika, der englischen Sprache weiterhin zugeneigt ist.

"Nidal Hassan ist ein Held. Er ist ein Mann mit Gewissen, der es nicht ertragen konnte den Widerspruch zu leben, ein Muslim zu sein und in einer Armee zu dienen, die sein eigenes Volk bekämpft", heißt es in Sheikh Awlakis Blogeintrag. Gefolgt von weiteren pseudoreligiösen Rechtfertigungen, mit denen erklärt werden soll wieso der 39jährige American-Muslim Nidal Malik Hassan am vergangenen Donnerstag zu den Waffen griff.

13 Menschenleben hat der freundlich dreinblickende, kahlköpfige Armee-Psychiater auf dem Gewissen. Bewaffnet mit halbautomatischen Waffen begann er in der letzten Woche ein Massaker auf dem US-Stützpunkt Fort Hood, Texas.
Gelebt hat der Sohn palästinensischer Einwanderer dort erst wenige Monate. Zuvor war die Ost-Küste der USA seine Heimat. Seine Eltern kamen aus einem kleinen Dorf im damaligen jordanischen Mandatsgebiet Ost-Jerusalem, sich selsbt nannte Hassan oft einen "Palästinenser".

Geboren und aufgewachsen in Virginia, im Großraum Washington D.C. führte ihn seine berufliche Laufbahn in die Reihen des US-Militärs. Er wurde Psychologe, besaß aber weniger als 12 Monate Praxiserfahrung. Hassans Patienten, Heimkehrer aus den Kriegen in Afghanistan und Irak, viele mit "Post-Traumatic-Stress-Disorder", schilderten ihm ihre Erlebnisse, jene die sie in ihren Albträumen plagten, jene die ihnen ein normales Leben in der friedlichen Heimat unmöglich machen.

In Hassan wuchs eine Furcht davor selbst in jene Gegenden der Welt entsandt zu werden aus denen tausende psychische Wracks zurückkehren, obdachlos werden, gewaltätig gegenüber der eigenen Familie, der Freundin, Mitmenschen in der Bar oder im Restaurant. Vor wenigen Wochen dann erhielt Hassan seinen Marschbefehl - Afghanistan.
Was sich nun in der Psyche des Psychiaters abspielte lässt sich nur erahnen. Ein Glaubenskonflikt? Eine persönliche, völlig unreligiöse Todesangst? Die Befürchtung im Einsatz von eigenen Kameraden behandelt zu werden wie ein Feind? Nidal Hassan, ein gläubiger Muslim, sollte in Afghanistan für den amerikanischen Sieg kämpfen. Das Bild verstört andere Militärangehörige, tagsüber gegen bärtige, turbantragende Islamisten zu kämpfen und abends dem eigenen Kameraden beim Gebet zu sehen.

Über Diskriminierung soll Hassan Verwandten und Kollegen berichtet haben, ein Gefühl dass er seit dem 11.September 2001 empfand. Ob er sich gerade deshalb intensiver in den Glauben stürzte ist unklar.
Er ging regelmäßig in die Moschee, manchmal in die "Dar ul Hijrah" nahe Washington. Dort predigte ein charismatischer Jemenit, schlank, dunkelhäutig, mit Brille und freundlichem Lächeln. Anwar al Awlaki floh aus seiner Heimat in die USA. Zuhause im Jemen verfolgt die Regierung Imame die seine religiösen Ansichten teilen. Awlaki ist ein Salafist, ein ultraorthodoxer Theologe, der den Glauben nicht von der Politik trennen kann.

Zwei Besucher der "Dar ul Hijrah" Moschee beteten hier im Frühjahr 2001 regelmäßig. Nawaf al Hazmi und Khalid al Mindhar sollten nur wenige Monate später Teil der Weltgeschichte werden, sie waren an 9/11 unter den Attentätern der al-Qaida. Ob Hassan Kontakt zu den beiden hatte kann man bisher nur vermuten. Jedenfalls nährten sich den Terroranschlägen die Hinweise darauf, dass Hassan mit dschihadistischem Gedankengut sympathisierte.

Eine Nachbarin beschrieb den fülligen Militär-Psychiater als immer freundlich und höflich. An der Ostküste wohnte er wohl noch mit seinem Bruder zusammen, einem Koch. Oft hing ein arabisches Schild an ihrer Wohnungstür: "Bitte nicht stören - Gebet".
Nach der Versetzung nach Texas, behielt sich Hassan seinen strengen Glauben. In Killeen, dem Wohnort nicht weit von der Militärbasis Fort Hood, gibt es eine Moschee, die Hassan jeden Freitag aufsuchte, manchmal auch öfter. Außerhalb des Dienstes trug er öfter lange weiße Gewänder und ein weißes Strickmützchen.

Unter der Woche fuhr er mit seinem Honda mit Virginia-Kennzeichen jeden Morgen zu einem 7-Eleven Store vor den Toren des Armeestützpunktes. Hier kaufte Hassan sein Frühstück, Kaffee und Brownies. Auch am Tag seines Amoklaufs war er hier, eine Überwachungskamera filmte ihn, gekleidet in traditionelle Tracht, lachend, scherzend.
Der Ladenbesitzer, selbst Araber, unterhielt sich oft mit "Major Hassan", wie er ihn nannte. Dabei stellte er fest dass Hassans Arabisch sehr schlecht war, er konnte kaum mehrere Sätze im Dialog durchhalten. Häufig stellte der Major Fragen mit Bezug auf den Glauben. Warum der Ladenbesitzer nicht zur Moschee geht, was er am Freitag zutun habe. Er sei zu beschäftigt, entgegnete dieser dann meist um nicht zu sagen dass er den Islam nicht besonders ernst praktizierte.

Manchmal beklagte sich Hassan wie schwer es sei eine Ehefrau zu finden. Über Partnervermittlungsprogramme in der Moschee versuchte der Psychiater sein Glück. Angeblich stellte er hohe religiöse Anforderungen, verlangte von seiner zukünftigen Gattin Vollverschleierung zu tragen, 5mal täglich zu beten und sich an die Gesetze des Koran und der Sunnah zu halten.
Es ist denkbar dass der gebürtige Amerikaner ein Gefühl empfand was zunächst in Angst, dann in Ablehnung, dann zu Isolation und dann vielleicht sogar in Hass umschlägt: fremd im eigenen Land.

Amerika führt Krieg in muslimischen Staaten, Afghanistan und Irak, schickt Soldaten nach Kuwait und Saudi-Arabien, liefert Waffen nach Israel und Pakistan, unterstützt die arabischen Despoten und Regime. All diese Gedanken müssen Hassan bewegt haben. Vielleicht erkannte er immer stärker einen Widerspruch, empfand sich als Verräter am Glauben und der Ummah und identifizierte sich mit jenen, die sich mit Waffengewalt gegen Amerikas Außenpolitik wehren.

Gerüchten zu Folge soll Nidal Hassan begeistert gewesen sein, als Barak Obama Präsident wurde, er hoffte auf einen Neubeginn der Beziehungen zwischen Amerika und der islamischen Welt. Dann die Enttäuchung: Afghanistan wird zu Obamas Irak. Der schwarze Präsident antwortet auf steigende Gewalt der Taliban mit der Entsendung von mehr Truppen, er gießt Öl in das Feuer des Dschihad. Plötzlich sieht Hassan seine Hoffnungen enttäuscht, und, noch viel mehr, befürchtet Teil weiterer Aggression gegen Muslime zu sein.

"Wenn ein Selbstmordattentäter 100 Soldaten tötet weil diese unachtsam sind, ist das ein strategischer Sieg", schrieb eine Person, von der Ermittler glauben dass es sich um Hassan handelt, im Mai 2009 in einem Internetforum. Es ging um die Diskussion ob Selbstmordanschläge nach koranischer Auffassung feiger Suizid sind oder glorreiches Märtyrertum.

In Hassan schien bereits jene Saat Früchte zu tragen die man als das Virus der dschihadistischen Ideologie bezeichnen kann. Als das was er ist, fühlte er Ablehnung, als Muslim und als Privatperson. Dann wächst der unerträgliche moralische Widerspruch zu wachsen, Teil einer antimuslimischen Armee zu sein, Verrat zu üben an Glaubensbrüdern in Übersee. Rückbesinnung auf die Wurzeln, auf den Stolz der Palästinenser, eines Volkes das mit voller Härte jene Weltpolitik zu spüren bekommt, die Bin Laden als größtes Verbrechen des Westens bezeichnet.

Als wenige Tage nach seiner Bluttat erste Aussagen aufkamen, Hassan habe vor dem 13fachen Mord an Soldatinnen und Soldaten der US-Army, den islamischen Monotheismus-Schlachtruf "Allahu akbar!" geschrien, dürfte das den Beobachter kaum überrachen. Für die USA und ihre muslimische Gemeinde war jener Donnerstag der wahrgewordene Albtraum. Was Sicherheitskreise "home-grown" nennen, ist Nidal Malik Hassan sicher nicht. Der Psychiater aus Virginia ist mehr, er ist der gescheiterte amerikanische Traum. Mit 39 Jahren fühlte er sich ausgegrenzt, abgelehnt und gefangen zwischen zwei Welten, zerfressen von moralischen Gewissensfragen, getrieben von Gottesfurcht und Bildern aus dem Fernsehen und Internet.

"Er ist ein Muslim" - begann US-TV Talker Bill O´Reilly seine Show bei Fox News am Donnerstagabend. Jeder Tag fördert mehr Details zu Nidal Hassan zutage. Letztendlich bleibt es ein Verbrechen wie andere auch, vielleicht motiviert durch Koran, Bin Laden und Al Jazeera, trotzdem "nur" ein schreckliches Verbrechen. Das Bild des Mannes der heute aus seinem Koma erwachte, nachdem ihn eine junge Polizisten mehrfach angeschossen hatte, ist längst gezeichnet. Nidal Hassan der Dschihadist in US-Uniform ist für die Medien längst existent. Jede Beziehung zum Feld des islamistischen Terrorismus wird gesucht und vielleicht sogar gefunden. Seine Tat selbst bleibt nicht exklusiv für die Muslime reserviert, seine Sorgen und Bedenken betreffen viele Männer und Frauen im Militär.

Hassan war nie im Kriegseinsatz, sein Leben als Muslim in Amerika war für ihn jedoch mit ähnlichen Auswirkungen verbunden. So grausam und unfassbar seine Tat erscheint, soll niemand verschweigen wieviele Menschen Jahr für Jahr durch die psychischen Traumata, die Geisteskrankheiten und ungezähmten Aggressionen der Kriegsheimkehrer sterben und verletzt werden. Die häusliche Gewalt unter Soldaten, die in Afghanistan und im Irak dienten, ist ein weitverbreitetes Phänomen. Familien bekommen einen anderen Vater und Ehemann wieder den sie einst in den Kriegseinsatz verabschiedet hatten. Psychiater wie Nidal Hassan sollen glätten was die Politik angerichtet hat und kämpfen dabei gegen Windmühlen. Amerikas Anti-Terror-Kriege produzieren Mörder, nicht nur in den Strassen von Haditha, in den Zellen von Abu Ghraib und Guantanamo oder der Wüste Helmands, sondern auch in der Heimat. Der Guerillakrieg macht vor keiner Grenze halt, er geht in den Köpfen weiter, er verstört und zerstört menschliche Psyche oft auf Jahrzehnte. Viele US-Soldaten sterben jede Nacht einen neuen Tod, werden durch die Erinnerungen an den Einsatz zu Mördern und Verbrechern.

So gesehen ist Afghanistan längst das neue Vietnam. Die Folgen für die amerikanische Gesellschaft sind noch nicht absehbar. Der Fall von Major Hassan ist ein trauriger Hinweis auf zukünftige Taten. Dass er zu Allah betete und Palästina im Herzen trug, lässt Amerika das eigentliche Problem verdrängen. Die wahre Botschaft der Tat findet sich in den Opfern, weniger im Täter.