Monday, November 9, 2009
Der Krieg in der Heimat - der Fall Nidal Malik Hassan
Die Seite ist dicht. Bis heute Nachmittag fand sich auf dem Blog des jemenitischen Predigers Imam Anwar al Awlaki noch ein Eintrag, der im texanischen Fort Hood, und nicht nur dort, die Gemüter erregen dürfte. "Nidal Hassan hat das Richtige getan" - titelte der Sheikh, der lange Jahre an der US-Ostküste gelebt hat und anscheinend trotz seines Hasses auf Amerika, der englischen Sprache weiterhin zugeneigt ist.
"Nidal Hassan ist ein Held. Er ist ein Mann mit Gewissen, der es nicht ertragen konnte den Widerspruch zu leben, ein Muslim zu sein und in einer Armee zu dienen, die sein eigenes Volk bekämpft", heißt es in Sheikh Awlakis Blogeintrag. Gefolgt von weiteren pseudoreligiösen Rechtfertigungen, mit denen erklärt werden soll wieso der 39jährige American-Muslim Nidal Malik Hassan am vergangenen Donnerstag zu den Waffen griff.
13 Menschenleben hat der freundlich dreinblickende, kahlköpfige Armee-Psychiater auf dem Gewissen. Bewaffnet mit halbautomatischen Waffen begann er in der letzten Woche ein Massaker auf dem US-Stützpunkt Fort Hood, Texas.
Gelebt hat der Sohn palästinensischer Einwanderer dort erst wenige Monate. Zuvor war die Ost-Küste der USA seine Heimat. Seine Eltern kamen aus einem kleinen Dorf im damaligen jordanischen Mandatsgebiet Ost-Jerusalem, sich selsbt nannte Hassan oft einen "Palästinenser".
Geboren und aufgewachsen in Virginia, im Großraum Washington D.C. führte ihn seine berufliche Laufbahn in die Reihen des US-Militärs. Er wurde Psychologe, besaß aber weniger als 12 Monate Praxiserfahrung. Hassans Patienten, Heimkehrer aus den Kriegen in Afghanistan und Irak, viele mit "Post-Traumatic-Stress-Disorder", schilderten ihm ihre Erlebnisse, jene die sie in ihren Albträumen plagten, jene die ihnen ein normales Leben in der friedlichen Heimat unmöglich machen.
In Hassan wuchs eine Furcht davor selbst in jene Gegenden der Welt entsandt zu werden aus denen tausende psychische Wracks zurückkehren, obdachlos werden, gewaltätig gegenüber der eigenen Familie, der Freundin, Mitmenschen in der Bar oder im Restaurant. Vor wenigen Wochen dann erhielt Hassan seinen Marschbefehl - Afghanistan.
Was sich nun in der Psyche des Psychiaters abspielte lässt sich nur erahnen. Ein Glaubenskonflikt? Eine persönliche, völlig unreligiöse Todesangst? Die Befürchtung im Einsatz von eigenen Kameraden behandelt zu werden wie ein Feind? Nidal Hassan, ein gläubiger Muslim, sollte in Afghanistan für den amerikanischen Sieg kämpfen. Das Bild verstört andere Militärangehörige, tagsüber gegen bärtige, turbantragende Islamisten zu kämpfen und abends dem eigenen Kameraden beim Gebet zu sehen.
Über Diskriminierung soll Hassan Verwandten und Kollegen berichtet haben, ein Gefühl dass er seit dem 11.September 2001 empfand. Ob er sich gerade deshalb intensiver in den Glauben stürzte ist unklar.
Er ging regelmäßig in die Moschee, manchmal in die "Dar ul Hijrah" nahe Washington. Dort predigte ein charismatischer Jemenit, schlank, dunkelhäutig, mit Brille und freundlichem Lächeln. Anwar al Awlaki floh aus seiner Heimat in die USA. Zuhause im Jemen verfolgt die Regierung Imame die seine religiösen Ansichten teilen. Awlaki ist ein Salafist, ein ultraorthodoxer Theologe, der den Glauben nicht von der Politik trennen kann.
Zwei Besucher der "Dar ul Hijrah" Moschee beteten hier im Frühjahr 2001 regelmäßig. Nawaf al Hazmi und Khalid al Mindhar sollten nur wenige Monate später Teil der Weltgeschichte werden, sie waren an 9/11 unter den Attentätern der al-Qaida. Ob Hassan Kontakt zu den beiden hatte kann man bisher nur vermuten. Jedenfalls nährten sich den Terroranschlägen die Hinweise darauf, dass Hassan mit dschihadistischem Gedankengut sympathisierte.
Eine Nachbarin beschrieb den fülligen Militär-Psychiater als immer freundlich und höflich. An der Ostküste wohnte er wohl noch mit seinem Bruder zusammen, einem Koch. Oft hing ein arabisches Schild an ihrer Wohnungstür: "Bitte nicht stören - Gebet".
Nach der Versetzung nach Texas, behielt sich Hassan seinen strengen Glauben. In Killeen, dem Wohnort nicht weit von der Militärbasis Fort Hood, gibt es eine Moschee, die Hassan jeden Freitag aufsuchte, manchmal auch öfter. Außerhalb des Dienstes trug er öfter lange weiße Gewänder und ein weißes Strickmützchen.
Unter der Woche fuhr er mit seinem Honda mit Virginia-Kennzeichen jeden Morgen zu einem 7-Eleven Store vor den Toren des Armeestützpunktes. Hier kaufte Hassan sein Frühstück, Kaffee und Brownies. Auch am Tag seines Amoklaufs war er hier, eine Überwachungskamera filmte ihn, gekleidet in traditionelle Tracht, lachend, scherzend.
Der Ladenbesitzer, selbst Araber, unterhielt sich oft mit "Major Hassan", wie er ihn nannte. Dabei stellte er fest dass Hassans Arabisch sehr schlecht war, er konnte kaum mehrere Sätze im Dialog durchhalten. Häufig stellte der Major Fragen mit Bezug auf den Glauben. Warum der Ladenbesitzer nicht zur Moschee geht, was er am Freitag zutun habe. Er sei zu beschäftigt, entgegnete dieser dann meist um nicht zu sagen dass er den Islam nicht besonders ernst praktizierte.
Manchmal beklagte sich Hassan wie schwer es sei eine Ehefrau zu finden. Über Partnervermittlungsprogramme in der Moschee versuchte der Psychiater sein Glück. Angeblich stellte er hohe religiöse Anforderungen, verlangte von seiner zukünftigen Gattin Vollverschleierung zu tragen, 5mal täglich zu beten und sich an die Gesetze des Koran und der Sunnah zu halten.
Es ist denkbar dass der gebürtige Amerikaner ein Gefühl empfand was zunächst in Angst, dann in Ablehnung, dann zu Isolation und dann vielleicht sogar in Hass umschlägt: fremd im eigenen Land.
Amerika führt Krieg in muslimischen Staaten, Afghanistan und Irak, schickt Soldaten nach Kuwait und Saudi-Arabien, liefert Waffen nach Israel und Pakistan, unterstützt die arabischen Despoten und Regime. All diese Gedanken müssen Hassan bewegt haben. Vielleicht erkannte er immer stärker einen Widerspruch, empfand sich als Verräter am Glauben und der Ummah und identifizierte sich mit jenen, die sich mit Waffengewalt gegen Amerikas Außenpolitik wehren.
Gerüchten zu Folge soll Nidal Hassan begeistert gewesen sein, als Barak Obama Präsident wurde, er hoffte auf einen Neubeginn der Beziehungen zwischen Amerika und der islamischen Welt. Dann die Enttäuchung: Afghanistan wird zu Obamas Irak. Der schwarze Präsident antwortet auf steigende Gewalt der Taliban mit der Entsendung von mehr Truppen, er gießt Öl in das Feuer des Dschihad. Plötzlich sieht Hassan seine Hoffnungen enttäuscht, und, noch viel mehr, befürchtet Teil weiterer Aggression gegen Muslime zu sein.
"Wenn ein Selbstmordattentäter 100 Soldaten tötet weil diese unachtsam sind, ist das ein strategischer Sieg", schrieb eine Person, von der Ermittler glauben dass es sich um Hassan handelt, im Mai 2009 in einem Internetforum. Es ging um die Diskussion ob Selbstmordanschläge nach koranischer Auffassung feiger Suizid sind oder glorreiches Märtyrertum.
In Hassan schien bereits jene Saat Früchte zu tragen die man als das Virus der dschihadistischen Ideologie bezeichnen kann. Als das was er ist, fühlte er Ablehnung, als Muslim und als Privatperson. Dann wächst der unerträgliche moralische Widerspruch zu wachsen, Teil einer antimuslimischen Armee zu sein, Verrat zu üben an Glaubensbrüdern in Übersee. Rückbesinnung auf die Wurzeln, auf den Stolz der Palästinenser, eines Volkes das mit voller Härte jene Weltpolitik zu spüren bekommt, die Bin Laden als größtes Verbrechen des Westens bezeichnet.
Als wenige Tage nach seiner Bluttat erste Aussagen aufkamen, Hassan habe vor dem 13fachen Mord an Soldatinnen und Soldaten der US-Army, den islamischen Monotheismus-Schlachtruf "Allahu akbar!" geschrien, dürfte das den Beobachter kaum überrachen. Für die USA und ihre muslimische Gemeinde war jener Donnerstag der wahrgewordene Albtraum. Was Sicherheitskreise "home-grown" nennen, ist Nidal Malik Hassan sicher nicht. Der Psychiater aus Virginia ist mehr, er ist der gescheiterte amerikanische Traum. Mit 39 Jahren fühlte er sich ausgegrenzt, abgelehnt und gefangen zwischen zwei Welten, zerfressen von moralischen Gewissensfragen, getrieben von Gottesfurcht und Bildern aus dem Fernsehen und Internet.
"Er ist ein Muslim" - begann US-TV Talker Bill O´Reilly seine Show bei Fox News am Donnerstagabend. Jeder Tag fördert mehr Details zu Nidal Hassan zutage. Letztendlich bleibt es ein Verbrechen wie andere auch, vielleicht motiviert durch Koran, Bin Laden und Al Jazeera, trotzdem "nur" ein schreckliches Verbrechen. Das Bild des Mannes der heute aus seinem Koma erwachte, nachdem ihn eine junge Polizisten mehrfach angeschossen hatte, ist längst gezeichnet. Nidal Hassan der Dschihadist in US-Uniform ist für die Medien längst existent. Jede Beziehung zum Feld des islamistischen Terrorismus wird gesucht und vielleicht sogar gefunden. Seine Tat selbst bleibt nicht exklusiv für die Muslime reserviert, seine Sorgen und Bedenken betreffen viele Männer und Frauen im Militär.
Hassan war nie im Kriegseinsatz, sein Leben als Muslim in Amerika war für ihn jedoch mit ähnlichen Auswirkungen verbunden. So grausam und unfassbar seine Tat erscheint, soll niemand verschweigen wieviele Menschen Jahr für Jahr durch die psychischen Traumata, die Geisteskrankheiten und ungezähmten Aggressionen der Kriegsheimkehrer sterben und verletzt werden. Die häusliche Gewalt unter Soldaten, die in Afghanistan und im Irak dienten, ist ein weitverbreitetes Phänomen. Familien bekommen einen anderen Vater und Ehemann wieder den sie einst in den Kriegseinsatz verabschiedet hatten. Psychiater wie Nidal Hassan sollen glätten was die Politik angerichtet hat und kämpfen dabei gegen Windmühlen. Amerikas Anti-Terror-Kriege produzieren Mörder, nicht nur in den Strassen von Haditha, in den Zellen von Abu Ghraib und Guantanamo oder der Wüste Helmands, sondern auch in der Heimat. Der Guerillakrieg macht vor keiner Grenze halt, er geht in den Köpfen weiter, er verstört und zerstört menschliche Psyche oft auf Jahrzehnte. Viele US-Soldaten sterben jede Nacht einen neuen Tod, werden durch die Erinnerungen an den Einsatz zu Mördern und Verbrechern.
So gesehen ist Afghanistan längst das neue Vietnam. Die Folgen für die amerikanische Gesellschaft sind noch nicht absehbar. Der Fall von Major Hassan ist ein trauriger Hinweis auf zukünftige Taten. Dass er zu Allah betete und Palästina im Herzen trug, lässt Amerika das eigentliche Problem verdrängen. Die wahre Botschaft der Tat findet sich in den Opfern, weniger im Täter.
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